17 May 2021
Plädoyer für die Anschaffung eines Erzfeindes (m /w /d)
Man schreibt ja gemeinhin, damit andere sich darin wiederfinden können, wobei, ich in dem, was mir bisweilen widerfährt, sich wiederzufinden, nicht meinem ärgsten Feind wünschen würde.
Das stimmt nicht, im Gegenteil, es wäre eigentlich sehr geeignet dafür, es meinem ärgsten Feind zu wünschen.
Der Erzfeind – das Wort ist einfach besser – meiner besten Freundin ist Olaf Scholz. Aber wer ist eigentlich meiner? Als Heranwachsender hatte ich einen. Ich wusste oder ahnte zumindest damals schon, wie erleichternd es ist, wenn eine konkrete Person das Unrecht verkörpert, das man erlebt. Der Unterschied zur (meist antisemitischen) Verschwörungsschwurbelei liegt darin, dass ein, ich nenne es mal geglückter Erzfeind, dass der also nicht aufgrund einer Eigenschaft oder einer Zuschreibung zu einem solchen wird, sondern wegen der Dinge, die er getan hat oder fortfährt zu tun.
Es ist für jegliches Moralverständnis unerlässlich, Menschen nach dem einzuordnen, was sie tun, nicht ohne das Getane ebenfalls einzuordnen. Eventuell zu vergeben, aber nicht zu vergessen. Und unbedingt auch, wenn sie tot sind, nicht auszublenden oder zu vergessen. In der Antike gab es den Tatenkatalog; ich fände einen Taten- und Untatenkatalog nach dem Todesfall durchaus sinnvoll.
Freilich bauen Menschen mal Mist, ohne dass es bewusst geschieht, oder auch bewusst, aber als Ausrutscher. Diese Dinge konstituieren keinen Erzfeind. Ein solcher muss regelmäßig und bewusst skrupelloses und narzisstisches Verhalten an den Tag legen.
Manchmal sind diese Menschen aber selbst gefangen in einem Kreislauf von aggressivem oder narzisstischen Verhalten. Diese Grauzone macht es schwierig, darüber zu urteilen, was man zB am juristischen Umgang mit diesem Phänomen gut beobachten kann. Die Verantwortung nicht mehr bei dem Menschen selbst zu sehen kann je nach Fall aber bedeuten, Vanillesoße über tatsächliche Aggression zu schütten. Differenzierung ist angesagt.
Zum Erzfeind taugen diese Leute aber ohnehin nicht. Erzfeinde sind sich im Klaren, was sie anrichten, sie leben auf dem Rücken von Anderen, ohne diese um Erlaubnis zu bitten oder das auch überhaupt einzugestehen. Auch ist ihr Habitus getragen von Überheblichkeit, Abwertung aller anderen und Bigotterie. Interessant ist auch, dass es vor allem Letzteres offenbar wirklich braucht. Es funktioniert oft besser, jemanden sehr Bigottes zum Erzfeind küren, als zB einen überzeugten, aber dummen Rechtsextremen. Oder kurz gesagt, Olaf Scholz läuft besser als Erzfeind als Beatrix von Strolch. Ich kann meine beste Freundin gut verstehen.
Worüber ich noch unklar bin, ist, ob sich Menschen als Erzfeinde eignen, auf die man selbst stark reagiert, die also vor allem die eigene Persönlichkeitsstruktur anticken. Auf der einen Seite hilft das sicher bei der Konstituierung als Erzfeind, auf der anderen Seite sollte es nicht dominieren, sonst nimmt das Ganze eher Gestalt einer persönlichen Rechnung an, während der Erzfeind ja eigentlich dazu da ist, das Übermaß an empfundenen Unrecht im entfesselten Turbokapitalismus zu lindern, indem einiges davon auf eine konkrete Person übertragen wird. Diese sollte nicht zu nah an einem selbst dran sein, aber auch nicht zu weit weg. Erdogan zB wäre sehr naheliegend, ist dann aber doch irgendwie zu abgedreht. Oder vielleicht einfach schon zu böse.
Meiner Erfahrung nach hat man allerdings oft nicht die Wahl, sich den Erzfeind selbst auszusuchen. Vielleicht kommen wir aber bald dahin. Ich kann es jedenfalls sehr empfehlen, einen zu haben. Eignen tun sich zur Zeit zB hohe CDU-Funktionäre, manche schreien es geradezu heraus.