grillmoebel
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16 Jan 2021
Ad Kontinuitäten in der Pandemie

Leaders talk rubbish, more people die“ – The Pogues, „Sitting on Top of the World“


Corona-Wirrsal. Mal wieder. Alle paar Monate verändert sich die Dynamik und es passieren hundert Dinge gleichzeitig. Gerade denkt man, man habe sich an den aktuellen Ablauf der Pandemie gewöhnt, denn das tun Menschen immerzu, nach Gewöhnung suchen, und schon geht es unverschämterweise garnicht so weiter wie erwartet, sondern irgendwie anders.
Letztes Jahr um diese Zeit: Corona ist irgendwas in China und wir tun so, als ob nicht täglich haufenweise Leute zwischen China und Deutschland jetten. Dann die verschiedenen Phasen der Corona-Leugnenden, zuerst von tatsächlichen Unsicherheiten gefüttert, später nur noch von Antisemitismus, jetzt endgültig Ausdruck des Rechten Rands geworden. Die Zeit spielt nicht für sie und die Infektionen auch nicht. Irgendein Bürgermeister aus Sachsen sagt, man solle nicht verkürzen und eine Korrelation zwischen Afd-Hochburgen und Infektionszahlen herbeifantasieren. Ich bin auch kein Verfechter der Verkürzung, aber ich war einmal in Sachsen im Coronajahr und hatte dabei, ohne es auch nur ansatzweise darauf anzulegen, fast ausschließlich Kontakt mit heftigen Verschwörungsidioten, die keine Masken trugen und nachts Partys ohne Abstand feierten. Es war eine Stichprobe im nicht so harmlosen Corona-Herbst und wenn diese beiden Szenarien mal nicht zusammenpassen, lieber Bürgermeister xy, was dann? „Viele Afd-Wähler nehmen die Pandemie ernst.“
Mag sein. Aber es gibt eben (leider) genug Afd-Wähler dafür, dass auch das Gegenteil stimmt.
Zurück zum Thema. Irgendwann dann Impfhoffnung, bevor nun die Impfenttäuschung kam: Es läuft nicht alles völlig glatt beim Impfen, man stelle sich vor. Impfstoffe werden kaum an denen getestet, die priorisiert geimpft werden sollen, viele kommen nicht und es gibt auch nicht genügend Dosen. Die Einladungspolitik ist nicht durchdacht und die Gesundheitsämter bauen Mist. Da wird geschimpft und sich empört, dass es eine Art hat. Niedlich geradezu ist diese Entrüstung darüber, dass das – wenn gerade nicht Pandemie ist – ausschließlich auf Profitmaximierung ausgelegte Produktions- und Verteilungssystem (Behörden inklusive) nicht plötzlich perfekt funktioniert, wenn es nicht mehr um Profit, sondern um zB Effizienz geht.
Sparen wir uns doch diese alberne Überraschung. Auch vor Corona hatten diejenigen, die entscheiden, fast nie Expertise über das, worüber sie entschieden. Wie auch? Die meisten sind Jurist_innen und verstehen Gesetze und Bürokratiesprech, aber nicht, wie diese Dinge den Alltag der Massen definieren und verändern. Wie auch? Der Alltag von Spitzenpolitiker_innen hat mit dem einer Arbeiter_in zB nicht wirklich etwas gemein. Die meisten in der Spitzenpolitik nutzen die Teile der Öffentlichkeit, über die sie entscheiden, selbst nicht einmal.
Das alles führt dazu, dass in den Kreisen der Spitzenpolitik andere Triebfedern existieren. Glaubt man sämtlichen Menschen und Institutionen, die sich damit auskennen, handelt es sich hierbei in erster Linie um Standortlobbyismus, also das Unterfangen, Großkonzernen deutschen Boden schmackhaft zu machen, schmackhaft zu halten und auf alle deren noch so abstrusen Forderungen einzugehen, obwohl sie aktenkundig Steuervermeidung betreiben. Das heißt, der deutsche Staat verdient nicht einmal konkret daran, lediglich das abstrakte „die bringen Kapital und Arbeitsplätze nach Deutschland“ oder noch alberner „das kurbelt die Wirtschaft an“, als hätten wir davon automatisch alle etwas, bleibt uns, um all die absurden Subventionierungen und Verzichte auf Regulierung zu rechtfertigen, die täglich hier ablaufen.
Warum nun sollte all das mit dem Einsetzen von Corona plötzlich vorbei sein? Woher kommt die absonderliche Idee, die Regierenden hätten jäh zur Vernunft gefunden? Ich unterstelle denen im Übrigen tatsächlich zumindest seit Corona eher gute Absichten. Ich glaube, die meinen es irgendwo gut, aber haben dermaßen alternativlos diesen Standortwettbewerbsblödsinn verinnerlicht, dass die garnicht auf die Idee kommen, man könnte auch in der Wirtschaft Dinge regulieren (Freizeitwirtschaft ausgenommen). Viele, die zuvor nicht verstanden haben, wie das System BRD funktioniert, sehen jetzt die Corona-Regelungen und fragen sich, wie es sein kann, dass im Arbeitskontext so gut wie nichts reguliert ist, sondern nur empfohlen wird, während alle andere Bereiche des Seins mit Ge- und Verboten durchzogen werden. Die Antwort ist ganz einfach: Weil es Sinn ergibt. Deutschland war schon immer gut darin, das weiterzumachen, was man schon vorher gemacht hat. Kontinuitätsprofi BRD: Wer vorher an die lustige Zauberei der unsichtbaren Hand des Marktes geglaubt hat, dem reicht nicht so etwas Belangloses wie eine Pandemie, um diesen auf nichts und wieder nichts fußenden Glauben aufzugeben. Also weiter und weiter alles am Laufen halten, was für den Standort Deutschland wichtig ist. Was aus den Leuten wird – egal. Es geht nicht um Bürger_innen, es geht um den Standort. Was gut ist für den Standort, ist ja wegen Wirtschaftswachstum und so ohnehin auch gut für den Ottonormalverbraucher (nur dass Otto Normal als Mitverursacher der Klimakatastrophe vielleicht nicht der beste Referenzwert ist).
Jetzt also kommt langsam an, worum es im Coronajahr 2020 in der BRD gegangen ist und worum nicht. Besser spät als nie. Die Pandemie tickt leider anders, da heißt es eher: Besser früh als spät.
Und dazu, darauf kann man sich in Deutschland verlassen, kommt es hierzulande nicht. Es wird nicht passieren, dass die Herrschenden in der BRD schädliche Muster dann durchbrechen, wenn es geboten ist.Nie und nimmer. Immerhin eine Klarheit inmitten dieser Zeit des Corona-Wirrsals.

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