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21 Jun 2019
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Nachtrag VIII

Ein Gedankenexperiment, sicherlich Standard in Science-Fiction-Stories. Kopftausch. Dein Kopf auf nem andern Körper. Nur eines würde passieren: Emotionaler Kollaps. Völlig undenkbar, dass es damit gleich weitergeht. Und die Wissenschaft redet davon. Von Kopftransplantation.
Ein großer Unfug, das. Wunschdenken, dass die körperliche Disposition etwas ist, wovon meine Gedanken getrennt sind. Ein längst überholter Dualismus, der immer gerne bedient wird. Aber die Geschichte aller Transplantationen, egal ob von Herz oder Scheiße, spricht eine andere Sprache. Unmöglich, dass das im genannten Falle glimpflicher ablaufen könnte. Es gibt keine getrennten Sphären, genausowenig wie es getrennte Organe gibt. Jeder Mensch ist ein System Mensch, in dem alles mögliche lebt und: wie es sich anfühlt, jener bestimmte Mensch zu sein, ist stets ein Gesamtausdruck dieses komplexen Systems. Kopftausch heißt demnach zwangsweise schwierige psychische Spaltung und Identitätskrise. Mindestens. Und noch ein anderes ergibt sich aus alledem: Wenn wir niemals gänzlich fühlen können, wie es sich anfühlt, jemand zu sein außer uns selbst, ist jede Beschreibung von Gefühlen bereits ein Versuch, eine Brücke zu schlagen. Wenn ich von einem stechenden Schmerz berichte und eine Person weiß, wovon ich rede, ist etwas eigentlich unmögliches durch Sprache und Interesse am Anderen erreicht worden, nämlich, das Getrennte zu – haha – enttrennen. Diese Dynamik können Menschen weit treiben, bis hin zum gegenseitigen Wiedererkennen in komplexen Gefühlen wie Liebe oder Trauer.
Ich stelle die These auf, dass Konflikte zu großen Teilen auf der gefühlten Trennung beruhen und schließe aus dem bisherigen, dass das Verstehenwollen durchs Brückenschlagen, was gemeinhin als Empathie bezeichnet wird, das ist, was das meiste zwischenmenschliche auflösen kann.

Fußnote: Geht der Sozialisationsansatz wirklich so weit, zu sagen, dass unterschiedliche körperliche Disposition keinen Anteil an den unterschiedlichen Gefühlen und Bedürfnissen hat, keinen Anteil an den gefühlten Gräben zwischen zwei Seienden? In diesem Fall schösse sie übers Ziel hinaus. Das Ziel, den sozial konstruierten Anteil anzuerkennen, sollte nicht dazu führen, alle anderen Anteile leugnen. Und die müssen nicht Biologie genannt werden. Auch dieser Begriff ist einer von Gleichmachung, denn Wissenschaft sucht nach Mustern. Auch lässt sich der Sozialisationsansatz dazu verführen, existierende totalitäre Strukturen zum Anlass zu nehmen, die ebenso existierende reale Differenz zwischen allen Menschen zu vergessen.
Verstehen kann ich es. Es ist erstmal viel. Trotzdem finde ich es schön, mit logischen Mitteln zu dem Schluss zu kommen, dass Menschen durch Empathie sich etwas ermöglichen, was eigentlich unmöglich ist.

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