grillmoebel
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20 Apr 2018
J. Volldepp lässt grüßen

Es nervt so. Es nervt auf so vielen Ebenen. Wen? Mich. Hoffentlich auch andere. Warum? Weil mal wieder die übliche Mehrheit Ja dazu sagt. Wie intensiv? Es nervt mich auf so vielen Ebenen, das habe ich bereits erwähnt. Was eigentlich?
Das Versprechen von Prominenz unter bestimmten Bedingungen. Alle seine Sorgen loszuwerden dadurch, dass man eine originelle Idee hat oder hart arbeitet oder beides. Der einzige anerkannte Weg des oder der Kreativen in dieser Gesellschaft.

Einst musste die Kulturindustrie zB zumindest eine gewisse Infrastruktur an Mittelspersonal aufbieten, durch welche Ideen, Produkte und Menschen vermarktet wurden. Heute, in dieser großartigen Welt, wo die Menschen endlich die Verantwortung für ihr Leben erkannt haben, sind sie dafür natürlich selbst verantwortlich. Sicher, die großen Stars (die es längst nicht mehr gibt) werden immer noch von riesigen Kartellen promotet, aber das ist nur exzessives Branding, das keinen Nutzen hat außer der Anhäufung von Wert innerhalb eines prominenten Namens. So dass Ed Sheeran, wer auch immer das ist, auf jeden Fall so ein reiches prominentes Selbstdarstellerarschloch, dann irgendwann auch eine Parfumlinie herausbringen kann, an der einzig der Fakt relevant ist, dass „Ed Sheeran sie herausbringt“, eine Phrase, die übrigens als wahrscheinliches Szenario einschließt, dass Ed Sheeran nichts, aber auch gar nichts mit der ganzen Sache zu tun hat.
Wer nicht schon angekommen ist in der sorgenfreien Prominentenexistenz, kann das, so das Versprechen, durch eine kreative Idee und anschließend deren restlosen Ausverkauf erreichen. Und weil dieses Versprechen so toll klingt, zeigen nun alle die ganze Zeit, wie vielfältig, originell und kreativ sie sind. Die Masse der Einzelnen feiert ihre Einzigartigkeit. Zu anderen Zeiten hätte man diese hemmungslose Selbstinszenierung vielleicht hemmungslose Selbstinszenierung genannt und als unschicklich verurteilt. Doch heute scheint es der einzige Weg, dem Elend zu entsteigen, das eine normale Existenz offenbar ist. So angebracht diese Ahnung vielleicht sogar ist – es nervt so unfassbar.
Was passiert nun? Der Kapitalismus hat freilich schon immer auf Konkurrenz gesetzt – Schulen waren und sind nichts anderes als Übungsstätten des Wettbewerbs. Da die Funktionsweise des Marktes heute nur mehr auf Branding beruht, geht es nirgends um die Fähigkeiten oder die tatsächlichen Produkte, die diejenigen zum Verkauf anbieten, die brav den Anweisungen folgen, noch nicht mal darum, wer von den vielen Leuten, die dieselbe originelle Idee haben (kommt vor bei Milliarden von Menschen), sie als erstes veröffentlicht, sondern lediglich darum, wer sich am Besten vermarktet. Das, was sie „die sozialen Medien“ nennen, ist ausschließlich darauf ausgelegt, alles zu präsentieren und bewerten zu lassen, also auf Marketing.
Vernetzung – ja, zum Zwecke der Vermarktung. Kommunikation – ja, zum Zwecke der Vermarktung. Information – ja! Zum fucking Zwecke der Vermarktung.
Die viel beschrieenen Vorteile dieser Netzwerke (schreit man laut genug, verschwinden die Ambivalenzen schnell) können welche sein oder nicht, darauf kommt es überhaupt nicht an. Die Frage ist, was da passiert und was da passiert, ist Vermarktung, Selbstdarstellung, Inszenierung, Performance, Branding.
Warum? Die Antwort findet sich im Versprechen des Emporsteigens aus dem Schlamm des Gewöhnlichen. Anstatt wertzuschätzen, wie jeder und jede Einzelne von uns selbstverständlich Fähigkeiten hat, seien es lebenspraktische oder emotionale, oder Eigenschaften, oder einen Charakter, oder Humor, schreiben wir all diese Dinge nur denjenigen zu, die wir dabei beobachten dürfen, wie sie Geld und Anerkennung dafür erhalten, denen also der Erfolg bereits rechtgegeben hat. Dieser Erfolg der Anderen, mithin kaum zu ertragen, führt entweder zu totaler Entmutigung und Selbstabwertung oder dazu, dass wir das unmenschliche Spiel folgsam mitspielen. Ganz Kulturindustrie geblieben, packt sie uns an den kindlichen Instinkten, am „ich kann das nicht“ (wider besseres Wissen) oder ans „ich will auch“. Kaum vorstellbar, dass irgendjemand Unbekanntes etwas sagt wie: „Bob Dylan schreibt gute Lieder. Ich schreibe auch gute Lieder.“
Aber es stimmt. Viele von uns schreiben gute Lieder, die meisten von uns schreiben bessere Lieder, wenn man sie lässt, als viele der Arrivierten. Wer keine Lieder schreiben kann, versuchts mit Comedy, Schminktipps, originellen Rankings (q.e.d.), How-To-Videos oder Websiten, auf denen dann zu lesen ist: „XYZ – dancer. writer. also love baking.“
Wir können alle sehr viel, ist die Botschaft dahinter, bitte lasst uns rein, wir haben es uns verdient. Ein klägliches Armutszeugnis, das selbstredend durch die kulturindustriellen Produktionen immer wieder neu hervorgebracht wird. Das Leben der Prominenz war für Normalottos stets die wichtigste Identifikationsfolie, ob im Rahmen der Adelsdynastie oder der Pop-Sternchen, und so dürfen wir nicht nur, sondern sollen, ja müssen über jedes Detail aus diesen (sicherlich wenig beneidenswerten) Lebenswegen informiert werden. Nicht dass wir noch vergessen, was wir einmal werden wollen, nämlich ein reiches prominentes Selbstdarstellerarschloch.
Es nervt. Es nervt mich auf so vielen Ebenen. Und an diejenigen, die sich über die neuen und doch nicht so neuen Spielregeln freuen, eine Anmerkung: Ein reiches prominentes Selbstdarstellerarschloch zu sein wird irgendwann gefährlich werden, wenn sich über Jahre hinweg angesammelter Neid der Masse völlig zu Recht in Gewalt verwandelt.


PS: Die Kulturindustrie bringt natürlich, so sie Dialektik wirkt, auch hier und da ein gutes Produkt heraus (zB die Fernsehserie „The Wire“). Als filmische Inszenierung der Themen dieses Textes sei empfohlen das hier. Viel Spaß wünscht Grillmöbel – Autor_in – Schriftsteller_in – Schreiberling. Mag auch Texte schreiben.

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