29 Sep 2014
Nur eine Frage der Zeit
[Achtung: Text enthält Behauptungen]
Nichts neues: das Leben zu genießen wird schwieriger, je näher man dem Ziel kommt, zu wissen, warum die Welt ist, wie sie ist. Dass die Zeit des Menschen irgendwann vorbei sein wird, ist dabei kein Trost. Wenn es Freude und Leid gibt, ist Nihilismus die Wahrheit, die bekämpft werden muss. Denn wer ein Bewusstsein besitzt, kann sich dazu entscheiden, die Maßstäbe des Universums, die Maßstäbe der Existenz als Gesamtem, zu ignorieren und so kommt es, dass die Perspektive eines einzigen Menschen in einer einzigen Situation wichtiger ist als das endgültige Schicksal des Universums. Klar, ist der Mensch erstmal ausgestorben, wird es so sein, wie man manchmal hört: Nichts wird übrig bleiben von alledem, nichts von den guten Dingen, nichts von den Grausamkeiten. Als mir als katholisch indoktriniertem Kind einmal die These unterkam, das Christentum könne ja einfach eine Phase innerhalb der Menschheitsgeschichte sein, die irgendwann vorbei ist, erschien mir das vollkommen unvorstellbar. Zum Glück bin ich mittlerweile die schlimmsten Auswüchse christlicher Ideologie (denn nichts anderes ist das) losgeworden und kann deswegen über mein beschränktes Vorstellungsvermögen lachen: Ein Ha-ha! an mein früheres Dasein.
Doch das interessante daran ist, dass diese These, die natürlich richtig ist, von einer Perspektive aus gewonnen wird, die ein Mensch eigentlich nicht imstande ist anzunehmen, nämlich die objektive. Schreibt man dem Universum ein Bewusstsein zu, erschafft man ein zeitloses und allwissendes Wesen, ihr wisst schon, Gott eben. Und wer das nicht will, der lässt es eben einfach bleiben, denn was ist schlimm an der Vorstellung von einem gleichgültigen All, das uns umgibt? Ich spinne das jetzt mal einfach weiter: Angenommen, das Universum hat kein Bewusstsein. So hat nichts von dem, was der Mensch in mehreren Millionen Jahren Existenz tut, irgendeine Bedeutung, weil er einfach entsteht und vergeht. Bu-hu!
Doch wenn es kein Allbewusstsein gibt (und das war ja die Annahme), hat nur der Mensch Bewusstsein, somit ist die einzige mögliche Perspektive die menschliche, da ja niemand da ist, der die objektive Perspektive einnehmen kann. Aus der Perspektive des Menschen aber hat alles Bedeutung, was für sich selbst und andere mit Lust und Schmerz verbunden ist. Anders gesagt: Einen Sinn des Lebens kann es nur ohne die Existenz eines zeitlosen und allwissenden Wesens geben. Deshalb liegt für fast alle Religionen der Sinn ja auch nicht im Leben, sondern im Tod. So. Nun ist es jetzt aber so, dass viele Leute, sogar die Herrschenden erkannt haben, dass Leben mehr Spaß macht als Sterben, sonst gäbe es ja nicht sowas wie Smartphones oder Hannah Montana; eine orthodox religiöse Gesellschaft bräuchte das nicht. Die menschliche Perspektive bzw. der Diesseitsglaube als bestimmendes Prinzip scheint bei den meisten Menschen angekommen zu sein, wenn auch nicht bei allen. Das heißt, 2014 scheint der Sinn nicht mehr im Sterben, sondern im Leben zu liegen. Doch wenn die meisten Menschen diese Perspektive wirklich angenommen hätten, warum gibt es dann so unfassbar wenig Menschen, die versuchen, an den unmenschlichen Zuständen unserer menschlichen Gesellschaften etwas zu verändern?
Das Problem ist: Eine bessere Welt schaffen kann nur, wer überzeugt ist,
dass Handlungen Bedeutung haben,
dass Leid nicht in Kauf genommen werden muss
und dass selbstbestimmtes Leben an sich Sinn ist.
Jede Form religiösen Glaubens arbeitet gegen diese Überzeugungen, denn sobald irgendeine Art von allwissendem und zeitlosen Wesen angenommen wird, wechselt die Perspektive weg von der menschlichen und es wird immer schwieriger, diese Dinge zu denken. Denn jede Form von theistischer Religion bringt eine Vorstellung von Gut und Böse, von Gleichgewicht und von einem Happy-End mit sich, das es nicht gibt. Was die Extremisten mit Sätzen wie „Gottes Wege sind unergründlich“ oder „Alles geschieht aus einem guten Grund“ ausdrücken, findet auch bei Menschen einen Platz als Denkmuster, die sich nur vage als „gläubig“ definieren. Und hemmt diese in ihrem Potenzial, zu intervenieren. Auch der geringste Glaube an etwas anderes als dieses Leben im Jetzt und Hier wird immer wieder davon ablenken, dass jetzt und hier etwas getan werden muss.
Für diejenigen Leute, denen klar ist, dass das so nicht weitergehen kann mit den Grausamkeiten der Menschheit und so, ist es deswegen wichtig, all diese Einlullungen und Beschränkungen, die Religion mit sich bringt, ein für allemal zu überwinden*. Denn sie sind mächtiger, als man denkt. Solange das nicht passiert ist, braucht sich niemand über das Ausbleiben systemrelevanter Proteste/der Weltrevolution zu wundern.
Distanz und Intoleranz hören zwar beide mit -anz auf, sind aber sehr verschiedene Dinge. Zur Verdeutlichung: Wenn (christliche) Politiker_innen es Menschen anderen Glaubens verbieten, Kopftücher zu tragen – Intoleranz. Wenn ich sage, dass Menschen, die Leid bekämpfen und Freude bringen wollen, das besser können, wenn sie nicht die Existenz einer Gottheit annehmen – Distanz. Natürlich wird mir aufgrund solcher Äußerungen ständig Intoleranz vorgeworfen, weshalb mir die Begrifflichkeiten eigentlich auch Wurst sind.
Und so begab es sich, dass dieser Post mit einer unerwarteten Forderung endete: Für mehr Intoleranz!
*Man könnte auch sagen: auszumerzen (vgl. z.B. Lev. 17,10; Num. 19,20; Dtn. 7,22)