grillmoebel
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05 Feb 2020
Ich habe keine Zeit, immer das Richtige zu tun

Ach Mann Deutschland, denk dir doch mal was neues aus. Immer wieder Unterdrückung von oben, immer wieder Ausbeutung und preußische Manneszucht, immer wieder Faschismus. Wird doch auch irgendwann langweilig. Man fragt sich ein bisschen, was in den Köpfen dieser ja doch irgendwie schulgebildeten Parteisoldaten der so bezeichneten und konstruierten „Mitte“ an einem solchen Tag stattfindet. Warum offensichtlich alles, aber auch wirklich alles erstrebenswerter ist, als dass linke und progressive Ideen in Machtpositionen kommen. Diese Leute erleben Bernd Höcke und seine Bande von Barbaren täglich (ich entschuldige mich dafür, falls sich Nachfahren von Barbaren durch diese Übertragung angegriffen fühlen) und fühlen sich davon nicht abgestoßen. Wie kann das sein?
Es ist für jemanden, der jemals an innerer Freiheit gerochen hat, unvorstellbar. Das aber ist die wichtige Erkenntnis daran. Hätten irgendwelche Fakten und Sachverhalte einen Einfluss auf reaktionäre (Nennen wir die Sache doch beim Namen, anstatt immer scheinneutrale Wörter wie bürgerlichliberalkonservativwasauchimmerblabla zu verwenden, die letztlich auch nichts anderes bedeuten, als dass man sich als Elite die eigenen Privilegien erhält und mehrt) Politiker_innen, wäre so etwas wie heute nicht möglich. Thüringen ist, was die Afd angeht, ja nicht irgendein Land, wo man ihr Harmlosigkeit andichten könnte. Die Fakten sind alle da, die unfassbar verabscheuungswürdigen Menschen, die sie schaffen, auch, jeder kann sie sehen und hören und tut dergleichen viel zu viel.
Doch auch das ist ja kein Zufall. Es ist eben nicht so, dass überall in den Bundesländern integre Menschen in den bürgerlichen Parteien sitzen, die wissen, wovon sie sich abgrenzen sollten und warum. Wenn in Thüringen so etwas geschieht wie heute, dann bedeutet das, dass die Mehrheit der gewählten Repräsentant_innen faschistoid genug ist, um eine Regierung, die alle ganz ok fanden, mit allen Mitteln loswerden zu wollen, nur weil sie „links“ heißt. Man fragt sich, wie ein solcher Antikommunismus überhaupt noch mehr übertrieben werden könnte als in dieser Realität. Weigern sie sich demnächst, Leute zu wählen, die Josef heißen und machen Höcke zum Innenminister, weil noch nie ein Diktator Bernd hieß?
Die Empörung sollte also nur dann eine sein, wenn man wirklich geglaubt hat, in CDU und FDP spielen demokratische Werte eine größere Rolle als Macht, Opportunismus und Wahnvorstellungen. Wann haben diese Parteien in den letzten 75 Jahren nun Anlass für einen solchen Aberglauben gegeben? Wenn man es kurzfasst, haben sie zunächst schnellstmöglich so viele Nazis wie möglich rehabilitiert, dann Linke niedergeknüppelt, dann nach und nach alle Einrichtungen des öffentlichen Sektors zur Spielwiese profit- und damit nicht gemeinwohlorientierter Unternehmen gemacht, dann wieder Linke niedergeknüppelt, dann das Erstarken rechtsextremer Parteien dazu genutzt, menschenverachtende Gesetzesänderungen im Asylrecht durchzuführen, dann wieder Linke niedergeknüppelt, dazwischen Spendenaffären, Verschwörungen noch und nöcher; eine ausschließlich auf Vormachtstellung ausgerichtete Außen- sowie eine infantile Verkehrspolitik, mit deren Folgen wir uns heute herumschlagen dürfen und noch lange in die Zukunft hinein, runden das Paket ab. Und aus dem Fundus welcher gesellschaftlichen Kräfte stammen die wenigen sinnvollen Projekte, die diese Parteien je umgesetzt haben? Atomausstieg, Ehe für alle, mehr fällt mir nicht ein? Na?
Eine Wahrheit, die den verfickten neuen Rechten und ihrem Wahlvieh nicht zugänglich ist (eine Verdrängungs- und Verblendungsleistung sondergleichen), ist, dass sie alle, die sie sich nun als Herrenmenschen aufspielen, ohne die Kämpfe der Linken wahrscheinlich immer noch wahlweise 16 Stunden am Tag in den Bergwerken arbeiten oder für die Eroberungsspiele ihrer Fürsten im Krieg verrecken dürften. Dass sie alle überhaupt nur einigermaßen frei in ihrem Alltag sein können, weil sich linke Werte, oder auch einfach humanistische Werte, wenigstens rudimentär durchgesetzt haben. Dass Unterdrückung und Bevormundung der nicht Geadelten, wenn auch noch vorhanden, auf einem historisch niedrigen Maß stattfindet, eben gerade weil der Faschismus nicht in Gänze überlebt hat.
Doch das leugnen diese Menschen, wie sie alles leugnen, was ihnen nicht in den Kram passt, weil in ihnen ein deutscher Geist wirkt, der das Blut hunderter Jahre Geschichte an den Händen hat. Der sie nie gelehrt hat, dass man sich der Welt argumentativ und zugewandt annähern kann. Der sie nie gelehrt hat, dass nahezu jeder Zustand von Unzufriedenheit und Enttäuschung, von Abgewiesenheit und Abwertung, einen Eigenanteil hat.
Die Bundesrepublik Deutschland ist kein Land von Bürgerlichen und Nicht-Bürgerlichen, es ist ein Land von Ungeist, von mangelnder Reife, von verabscheuungswürdigen Eigenschaften, von der Weigerung, auch nur die geringste eigene Verantwortung zu übernehmen, von Bigotterie und Arroganz ohne Vorbild (außer wiederum Deutschland), ein Land von Scheuers und Spahns, von Gaulands und von Strolchs. Schaffen wir es endlich, ENDLICH ab.

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