grillmoebel
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12 Dec 2019
eine Schneise der Verwüstung

Da will man lediglich den Promi der kritischen Psychologie Morus Markard stalken und schon schlagen die Algorithmen zu und man landet auf dieser Wikipedia-Seite. Und das ist auch das Thema: Da kann man noch so immersed in trautem Kreis darüber reden, welche Möglichkeiten eigentlich die real existierenden Menschen so bieten gesellschaftlich, und trotzdem machen woanders gleichzeitig irgendwelche Leute Millionen mit Kryptowährungen. Es fällt schwer zu akzeptieren, dass man sich dabei denselben Lebensraum teilt und vielleicht könnte man das auch anzweifeln. Selbst für eine Trennungsverächterin wie mich erscheint die Bandbreite des In-der-Welt-Seins, die sich mittlerweile entwickelt hat, immer wieder wie eine Vorführung des Unvereinbaren und es wundert nicht, dass universelle Ansätze gegenüber dem Trennungsfetisch massenhaft den Kürzeren ziehen.
Lebensjahre sind zB so etwas Trennendes, es braucht nicht viele, um sich dem Gegenüber gegenüber in einer völlig anderen Welt zu wähnen; je nach Situation reicht eines. Spätestens ab dann, wenn der Unterschied in Dekaden gemessen wird, ist aber Schluss mit Augenhöhe. Und dann hört man Johnny Cash und ist sich sicher, dass für die nächsten Generationen keine zeitlosen, substantiellen und inspirierenden Künstler_innen da sein werden, die sie begleiten. Ist das nun der übliche Dünkel der Älteren? Zu denen diejenigen mit selbst hergestellten Nachgeborenen naturgemäß zu rechnen sind?
Ich weiß es ehrlich nicht. Einige Gedanken dazu:

  • Entweder es ist so. Dann gibt es jene Künstler_innen schon und ich kenne sie entweder nicht oder unterschätze massiv ihre Zeitlosigkeit, Substanz und Inspiration. Aber wer? Ernsthaft, wer? Mir fliegen so Namen wie Amy Winehouse zu, die ist aber tot und sonst fällt mir niemand ein. Miley Cyrus? Nein, oder? Hm, man hört auch immer, dass es jetzt Popmusik und Rap als gleich große popkulturelle Entitäten gibt. Ich muss dazu aber sagen, dass ich trotz dieses netten Videos der ältesten Rapper der Welt mir nicht vorstellen kann, dass das so lange würdevoll rüberzubringen ist wie bei anderer Musik. Willie Nelson ist 86, Alter! Sam Moore, Aretha Franklin, Mavis Staples, aber auch Joan Baez oder Bob Dylan, die machen das alle noch und zwar gut und beeindruckend. Je heftiger die Musik wird, desto schwieriger ist es. Aerosmith und Paul McCartney schaffen das grandios und von mir aus auch die … gähn… Rolling Stones könnten sich schlechter anstellen, aber wenn man Richtung Rob Halford, Ozzy oder Lemmy (es ist wieder Gedenkzeit) schaut, merkt man schnell, dass es da Grenzen gibt. Wie das in neueren Genres wie Rap, Folkpunk oder Black Metal aussieht, wird man erst in 20 Jahren beurteilen können. Man darf gespannt sein.
  • Oder ich habe Recht und früher war alles besser. Die Menschheit hat im Kapitalismus zum Ende der Kunst gefunden und das mittlerweile so vollendet, dass es sowas wie Johnny Cash nie mehr geben wird.
  • Oder, und das ist als dritte Option natürlich die Richtige, die Fragestellung trieft nur so vor Fehlerhaftigkeit. Alle genannten waren Produkte der Zeit, in der sie gelebt haben. Nach zwei Weltkriegen war Platz und Bedarf nach genau dieser Entwicklung. Das ist kein Zufall, kann man zB an Swing sehen, die leichte Musik zur schweren Kost. Dann Durchbrüche im technischen Fortschritt, Beenden des Zweifrontenweltbildes durch ebenjene Durchbrüche, Kapitalismus überall, Konsum überall und erwünscht, das war für die Popmusik ein großartiger Ablauf. Mit der Entpolitisierung der Massen dann auch mehr Zeit für all die Millionen Tonträger. All diese Dinge hängen zusammen und bedingen sich gegenseitig. Mit einer anderen politischen Entwicklung hätten wir eine völlig andere Popmusik, aber diese unsere Geschichte begünstigte über einige Jahrzehnte die Entstehung von langlebigen Bands, von Leuten, die irgendwann too big to fail sind, die also auch für so etwas (bitte ab Minute 26 hören, es ist unfassbar) Zeit haben und die man gerne über ihre Musik und Kunst hinaus als Phänomen verfolgt, die Brücken schlagen und Differenzen abbauen, von denen man lernen kann, die letztlich die Welt ein Stück besser machen. Es hat also mehr eine Verschiebung stattgefunden. Doch all das bleibt ja nicht einfach so stehen. Diese Zeit ist anders als die, in der diejenigen Künstler_innen begonnen haben, die jetzt nach und nach abtreten. Langlebigkeit könnte durch den Brandingswahn durchaus immer noch vorkommen, doch gleichzeitig sind die Verwertungs- und Distributionsmechanismen eher nicht darauf ausglegt. Substanz wird man von ganz oben verhindern, wo man kann, bzw tut die herrschende Ideologie das ihre, dass besagte Künstler_innen es von allein schaffen, inhaltsleer und reibungsfrei zu bleiben. Inspirationsfähigkeit wird nicht verschwinden, aber punktueller werden als bis jetzt, weil sie sich nicht auszahlt. Doch im Fundus des Künstlerischen, damit müssen die Verwerter der popkulturellen Erzeugnisse leben, werden sich immer wieder Unbequeme und Freigeistige finden und kleine Revolutionen anzetteln. Vielleicht werden sie auch wieder politischer. Man weiß es nicht. Klar ist nur, dass immer viele Leute Kunst produzieren werden und immer viele Leute Kunst konsumieren werden. Und wenige werden sich daran bereichern.
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