grillmoebel
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12 Sep 2019
ein seltsamer Abend fürwahr

\2013. Erster Kontakt mit den Sleaford Mods. Ein bisschen angefixt, aber vor allem verwirrt. Was soll das?
\2019. Voller Saal, eine Band spielt ihre letzten drei Songs. Wirkt spannend, viel Gefühl. Aber zuwenig Zeit, gleichzeitig anzukommen und die Musik zu verinnerlichen. Und schon Ende. Die Band trägt all ihre Sachen von der Bühne. Die Bühne ist leer. Jemand baut zwei Bierkästen auf der Bühne auf. Es ist Andrew Robert Lindsay Fearn, die Menge johlt. Er stellt oben auf den Kisten einen Laptop ab, den er mit irgendwas verkabelt. Zweimal poppen wenige Sekunden lange Elektrobeats auf. Dann gibt Fearn einen Daumen hoch. Parallel stellt irgendwer ein Mikro mit Ständer auf die Bühne und testet es. Der kürzeste Soundcheck aller Zeiten ist vorbei. Alle warten auf die Sleaford Mods. Eine Leinwand hängt im Hintergrund. Wozu, bleibt unklar. Spekulationen. Viel englischsprachiges Publikum. Midlands-Englisch ist ein Soziolekt. Die Sleaford Mods sind die Stimme der Arbeiterklasse. Für 30 Euro pro Ticket. Entsprechend eher Mittelklasse Publikum. Kein Richtiges im Falschen. Auch die Sleaford Mods leben im Falschen.
Sie fangen an.
Sie hören auf.
Es war Performance, nicht Konzert. Es ist gut, das zu merken. Eine klare Position fällt schwer. Auch das ist gut. Man wusste, dass Fearn nichts auf der Bühne tut außer „play“ drücken und Bier trinkend tanzen. Es zu sehen ist trotzdem kaum zu fassen. Die Performance ergibt aber nur Sinn durch die starre Arbeitsteilung. Beide dürfen sich bewegen, immerhin. Das Gefühl kauft man ihnen trotz Performance ab. Wut, Ärger, Hohn und Trotz. Manchmal stecken Bitterkeit, Trauer und Verzweiflung dahinter. Es muss therapeutisch sein für Williamson, dem kaum Grenzen gesetzt zu sein scheinen, was er ablassen darf. Befreiend einerseits, doch was passiert damit, wenn es jeden Abend für Geld getan wird? Wann schlägt die Routine zu? In was schlägt sie um? Bisher wenig Verwerfungen zu erkennen. Die „Musik“, um die es wenig geht, entwickelt sich über die Alben nur in den Details weiter. Die Stimmverrenkungen von Williamson sind beeindruckend. Unklar bleibt, wie bewusst, wie ausgebildet er sie einzusetzen versteht. Es lauert der Vorwurf. Wer sich als proletarische Stimme präsentiert, muss liefern, muss es richtig machen.
Langeweile ist keine Gefahr bei den Sleaford Mods. Aber es bleiben Fragen offen, deutlich mehr als bei anderen Bands. Solche Fragen in einer Gesellschaft der einfachen Antworten sind Gold wert.

Und auf der Leinwand war die ganze Zeit zu sehen — nichts.

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