grillmoebel
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20 Apr 2019
Ich hab genug von den Worten, die ich sag

Da wir in einer Zeit leben, in der Qualität und Quantität im Allgemeinen synonym gesetzt werden, handele ich in dieser review gleich zwei Konzerthighlights der letzten Wochen ab.
2017, 18 und 19 sind bekanntlich die Jahre der reunions after a ten-or-more-than-ten-year-hiatus, weshalb sich vor Kurzem auch die norwegische Band Kings of Rock Gluecifer dafür entschieden hat, aus dem einen oder anderen Grund wieder aufzutreten. Offenbar sind zehn Jahre die Mindestzeit, um den erlebten Mist zu vergessen und sich zu langweilen, oder wie auch immer, jedenfalls the Kings of Rock are back und starteten das Konzert mit einem ikonischen rockthrone auf dem Riesenbanner; nichts Tolles, aber dafür mal keine Screens hinter der Band.*
Was Gluecifer angeht, kann man sich zwar wunderbar an die beiden erfolgreichsten und bekanntesten Alben halten, Hits wie Here come the Pigs (sic!) oder Easy Living werden damit auf jeden Fall mitgenommen, aber ich empfehle immer wieder die erste LP mit dem irritierenden Namen “Ridin’ the Tiger”,** hier nachzuhören; die nämlich klingt noch nicht so sehr nach Komfortzone wie es die späteren Veröffentlichungen dann doch tun, wie so oft, wenn Bands “ihren Sound” gefunden haben.
Der Beitrag von Gluecifer zur 1999er Split Respect the Rock America mit den Hellacopters*** ist ebenfalls eine Perle dieser Art von Musik; man mag zu dem albernen Sängergehabe (“Shake it down!”; “Uh! Yeah!” und natürlich der Klassiker “Baby”) stehen wie man will, “Shitty City” ist einfach ein meisterhaft in Aufnahme gefasstes Live-Erlebnis und wies für mich immer auf eine gute Liveband hin, was sich dann nun auch bestätigen durfte. Was ich wiederum nicht erwartet hätte, ist, dass ich nach dem Konzert meine Meinung über dieses “alberne[…] Sängergehabe”,**** das bisher für mich im besten Fall an eine lange mackrige Tradition von Rock’n’Roll-Musik anschloss, zu modifizieren. Denn Biff Malibu***** performte nicht mackrig, sondern sexy, man kann es nicht anders nennen, und alles gehörte dazu und ergab einen absolut runden Gesamteindruck. Wobei ich, wenn ich mal die Website studiert hätte, wozu ich ja 10 Jahre Zeit hatte, die Sexiness auch bereits in den alten Galerien hätte entdecken können. So, genug der Objektivierung, Biff Malibus leicht messianische Inszenierung sowie die musikalische Tightness der Band waren nicht weniger als beeindruckend, was sich zum Glück durchgehend vom ersten bis zum letzten Song zog (“I want a war” als Opener ergibt sich notwendig aus den phsyikalischen Konstanten des Universums, möchte man meinen). Die Tatsache, dass ich mich stellenweise fragte, ob Captain Poon weiß, was er da tut, machte es eher noch besser, denn das irgendwo zwischen Rock und Roll liegende Konzept von Gluecifer läuft auf jeden Fall Gefahr, zu glatt zu werden. Dem wirkte die Band wohl bewusst entgegen, indem sie sowohl 3 oder 4 sehr alte als auch 2 oder 3 poppige/balladeske Songs in die Setlist aufgenommen hatte. Für das Publikum, aus dem heraus es mehreren endvierziger “Es gibt einen Unterschied zwischen Kneipe und Konzert?”-Männern allen Ernstes nicht peinlich war, sich über diese Brüche lautstark zu beschweren,****** war das wohl zuviel Vielfalt. Dass Gluecifer dieses – ich kann es nicht anders nennen – armselige Publikum tatsächlich am Ende noch ein bisschen aus der deutschen Konzertstarre locken konnten, lag vor allem an den hervorragend inszenierten Zugaben. Nach einer im besten Sinne des Wortes lebendigen Version von “Easy Living” (etwa vergleichbar dieser; leider nicht dieser schicken Version auf deutsch) folgte zu meiner Verwunderung “Rockthrone” (diesmal das Lied), welches folgendermaßen ablief: Alle spielten das Lied wie in der Studio-Version und daraufhin wiederholte sich musikalisch mindestens drei Minuten lang das letzte Riff, während “Uncle Malibu” (O-Ton Biff) einen Wahnsinnsaufwand betrieb, jeden, aber auch jeden einzelnen Menschen im Publikum mit Kusshänden zu versorgen. Danach dachte ich nur noch: Boah. Muss ich mir merken.




* Ich rechne mittlerweile auf jedem Konzert ab der Preisklasse >30 Euro damit, dass die Bühne mit Bildschirmen verkleidet ist, daher reagiere ich selbst auf den rockthrone mit Erleichterung.

** Ich nehme an, es soll irgendwie in diese “Wir sind so cool und gefährlich”-Richtung des Rock’n’Roll-Habitus’ weisen, aber wieso? Die Bewegungen, mit denen ein Tiger unterwegs ist, eignen sich nicht zum Berittenwerden. Ein Tiger lacht über Gluecifer, ehrlich.

*** die sich übrigens 2017 nach zehn Jahren … na? … wiedergegründet haben

**** zit. nach Grillmöbel 2019

***** Jawohl.

****** Etwas, was ich mit 17 auch gemacht habe. Aber vielleicht waren die ja alle Benjamin Buttons.

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