29 Aug 2018
more of the same, please
Regelmäßig erreichen das Grillmöbel-Team Nachrichten, die den Vorwurf beinhalten, jedes Wort auf die Goldwaage zu legen. Nicht exakt der Redensart gemäß geht es eher um die Frage, ob nicht zuviel hineininterpretiert würde in die Formulierungen des Zeitgeistes, bzw ob das alles denn wirklich so gemeint sei.
Diese Fragen gehen an der Sache vorbei. Die These ist ja gerade, dass mit Sprache Bilder transportiert werden, ganz gleich, ob intentional oder nicht. Dass andererseits, setzt man diese These als wahr, die kapitalistische Verwertungsmaschinerie dergleichen skrupellos ausnutzt, um ihre sinnfreien Produkte loszuwerden, davon ist auszugehen. Die Politik derweil, die ja auch nichts anderes tut als Reklame für ihre Produkte zu machen, ob Ankerzentrum oder Vollbeschäftigung, weiß ebenfalls von dem mittlerweile in der Debatte (natürlich verkürzt) angekommenen Effekt des „Framings“ und nutzt ihn für sich, zB indem sie hochkomplexe Zusammenhänge auf Twittergröße komprimiert oder einfach ihr Personal per social media vermarktet, um zu zeigen, dass hier Menschen am Werk sind. Menschen, die privat gerne zocken oder bergwandern. Doch diese freundlichen videospielenden Naturliebhaber_innen sind aller mit schicken Bildern und Kumpelhaftigkeit inszenierten Harmlosigkeit zum Trotz diejenigen, die die Staatsdoktrin definieren und exekutieren.
Sobald nun etwas passiert, und das ist in der globalisierten Welt nun einmal ein unerfreulicher Dauerzustand, muss ein_e jede_r sofort eine Meinung dazu haben Position dazu beziehen. Das Ganze ist ein Spiel mit Posen und starken Worten, dessen zentrale Regel es ist, niemals die Oberfläche zu durchdringen, und daher großer Unfug, der eigentlich keine Relevanz haben sollte. Natürlich kommt es in einer derart organisierten Gesellschaft aber dahin, dass kaum etwas anderes Relevanz hat.
Doch zurück zum Eigentlichen, das da wäre die Goldwaage und ihr regelmäßiger Gebrauch. Man könnte sich zB nach der Lektüre jener großangelegten Werbeanalyse fragen: Ist das wirklich alles so gemeint? Ein Anfängerfehler, nicht ohne die Vorstellung des bösen Machers im Hintergrund leben zu können, der sich die Hände reibt.* Kritik muss sich an Personen richten, da nur Personen Verantwortung tragen können. Oder anders: Abstrakte Strukturen können weder zu Rechenschaft gezogen werden noch bestraft. Man kennt das von den Adressaten religiöser Verehrung (zB Gott), deren Gewaltherrschaft genau aus diesem Grund so gut funktioniert. Kritik muss sich also an Personen richten; Kritik muss aber vor allem auch die strukturellen Mechanismen aufzeigen, die diese Personen am Laufen halten. Bei der Werbung: Manipulation via Sprache. Wer das aus welchem Grund wie intendiert hat, ist total egal, solange Manipulation via Sprache wirkt, und das tut sie.
Stefan Gärtner polemisiert in der aktuellen Titanic gegen Jan Feddersen von der taz, und das unter der Maxime „Form ist der höchte Inhalt“. Jetzt mag ich den Feddersen und seine teilweise wirren Artikel auch nicht besonders und konnte Gärtners Analyse durchaus zustimmen. Dennoch hörte ich stellenweise heraus, dass ein unschöner Text nicht sein dürfe. Ich bin allerdings der Meinung, die Plausibilität und Relevanz eines Textes sollten nicht an eine Fertigkeit des Verfassens gebunden sein, auch wenn es natürlich schöner ist, wenn es in eins fällt. Ich kam nach erneutem Lesen aber zu dem Schluss, dass es Gärtner weniger um eine solche Forderung ging als darum, verdammt noch mal nicht irgendetwas hinzuschreiben, nur weil man Journalist ist. Er zitiert dazu Karl Kraus mit dem guten Satz „Der Journalismus hat die Welt mit Talent verpestet“ und hier atme ich dann doch auf, weil ich keine Angst mehr vor Differenz mit Stefan Gärtner haben muss, denn um das zu belegen, muss man nur einmal die Zeitung oder das Web aufschlagen:
„Jogi Löw bricht sein Schweigen“, nachdem es mit dem „Rücktritt“ soweit noch nichts ist, und bei der Lektüre des kompletten Artikels, sofern man das Durchhaltevermögen besitzt, wird klar, dass diese Themen immer wichtiger sein werden als die gleichzeitig stattfindenden Pogrome oder Revolutionen. Allein meine (zufällige) Nichtbegeisterung für das Fußballspiel an sich – ich finde es einfach sehr langweilig – rettet mich davor, die enorme Diskrepanz zwischen hoheitlicher Sprache und profanem Gegenstand nicht mehr zu bemerken. Im Umkehrschluss wird es also die Mehrheit der Leute als angemessen erachten, dass von jemandem, der Jogi Löw heißt und sich vor aller Augen am Sack kratzt, so berichtet wird wie sonst nur von der heiligen Mutter Merkel persönlich. Und da Sprache nicht nur Bilder in Reales verwandelt, sondern auch Reales in Bilder, ist davon auszugehen, dass auf das, was Jogi Löw (letzte Erwähnung dieser Bezeichnung, versprochen) tut und sagt, von den Fans ähnlich viel Macht projiziert wird wie von mir auf die Lichtgestalten aus Politik und Wirtschaft. Naja. Beides Scheiße.
Weiter geht‘s zu GMX News. Unter Panorama zunächst die Frage: „Ist hier ein Poltergeist am Werk?“ Antwort (Grillmöbel-Service): Nein. Artikel vergeblich. Es geht aber noch weiter:
„Dieser Hund kauft alleine ein.“ Nein. Hunde kaufen nicht ein. Genausowenig haben Bären „heute noch viel vor“ oder ein Chamäleon geht „auf die Suche nach der großen Liebe“. An dieser Stelle wegen Themenverwandtschaft eine Korrektur des Films „Unsere Erde 2“: Musik ausnahmslos streichen, vermenschlichende Kommentare ersetzen durch wissenswerte Fakten und nie, nie mehr Günter Jauchs Stimme auf Tonspur aufnehmen. Dann könnte noch etwas daraus werden.
Aber wir sind noch auf GMX News. Es gibt nun offensichtlich Leute, die sollten definitiv mal ihre Sätze auf die Goldwaage legen, bevor sie sie hinschmeißen: „Sophia L. findet endlich Frieden.“
Es mag ja sein, dass Leute im persönlichen Umfeld nun aufatmen, da eine Beerdigung möglich ist, aber sicherlich nicht die ermordete Sophia L. Denn sie ist tot. Zu sagen, dass Sophia L. Frieden findet, ist unverschämt. Dem Opfer eines Mordes überhaupt das Wort Frieden so nahe zu stellen, ist… ach, lassen wir das. Im Kontext der obigen Überlegungen schreit diese Überschrift natürlich auch ein Bedürfnis nach Frieden, Abschluss und Harmonie heraus, das jeder Mordfall per definitionem unbefriedigt lassen muss. Diese egomane Komponente ahnend, bietet GMX News uns keinen Verfasser an. Ob es vielleicht ein Bot war, der uns diesen Schriebs vorsetzt? In diesem Falle hätte die künstliche Intelligenz einen beachtlichen Erfolg in der Mimesis menschlicher Blödheit zu vermelden.
Apropos menschliche Blödheit: Markus Lanz wurde kürzlich erlaubt, den bekannten Schauspieler Terence Hill mit seinem Verhalten zu foltern. Nach einer unheimlich langwierigen Anmoderation, die herauszuschreien scheint: „Jemand hat mir Fakten, Anekdoten und Fragen zu Terence Hill auf einen Zettel geschrieben. Kuck mal, wie ich alle auf einmal vortragen kann“, offenbart sich endlich, worum es eigentlich geht, nämlich wie wichtig der deutsche Teil seiner Geschichte für Terence Hill ist, der 76 seiner 79 Jahre nicht in Deutschland zugebracht hat.
Dahinter steht die Erkenntnis, dass er eigentlich nur hier sein darf, weil er immerhin Halbarier ist und überdies noch blond und blauäugig. Als sendungseigenen Ariernachweis bescheinigt Lanz ihm einen bayerischen Akzent, der natürlich keinen Sinn ergibt, wie jeder weiß, der Terence Hill denn auch zwischendurch mal zuhört. Das muss Lanz als Profi natürlich nicht: Wie angewiesen, fragt er weiter nach allerlei deutschbezogenen Dingen. Einen großen Applaus erhält Hill für seine Goldene Hochzeit – für 50 Jahre Ehevertrag und eine implizite heteronormative Bürgerlichkeit können sich Deutsche natürlich sofort begeistern. Bevor es wieder jemand falsch verstehen will: Terence Hill kann von mir aus leben und aussehen, wie er will. Mir geht es um das Verhalten der Deutschen, die mit ihm sprechen oder ihn begaffen. Nach einer Viertelstunde holt Lanz dann zum großen Finale aus und befragt den „Zeitzeugen“ Hill nach seinen Eindrücken aus „der Dresdner Bombennacht“, ein Unwort, zu dem es im industriellen Massenmord kein Gegenstück gibt, das es ins Volksgedächtnis geschafft hat. Wie sollte es auch heißen? „Die fünf Auschwitzer Vernichtungsjahre“? „Das ununterbrochene Gemetzel im Osten“? Dann doch lieber eine Bombennacht. Was nicht bedeutet, dass der junge Mario dort nicht traumatisiert wurde. Doch darum geht es bei Lanz nicht, sondern um die übliche Verschiebung hin zum deutschen Opfer. Sein gehauchtes „Wahnsinn“ bezieht sich nicht auf den Holocaust, sondern auf die Maßnahmen, die ihn beendet haben. Das schlimmste der zahlreichen Verbrechen der Aliierten im Zweiten Weltkrieg war somit nicht einmal die Bombardierung Dresdens, sondern die Traumatisierung des blonden und blauäugigen Filmstars mit deutschen Wurzeln Terence Hill.
* Dieser Anfängerfehler kann sich, sofern unbehandelt, übrigens schnell zum handfesten Antisemitismus mausern