grillmoebel
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29 Jan 2018
Versuch über die Schweiz

Was ist eigentlich die Schweiz? Fest steht, dass das die richtige Frage ist. Die Schweiz tut nämlich nichts, sie ist nur alles mögliche. Föderaler Binnenstaat, Schutzmacht, eine Eidgenossenschaft, eine Willensnation. Die Schweiz, von Star Trek-Fans auch gerne “the neutral zone” genannt, liegt irgendwo mitten in Europa, eingequetscht zwischen anderen Ländern, lustigen Fürstentümern und einem Haufen von Bergen. Über die Jahre hat sich der Sinnspruch “die Schweiz ist nicht der Harz” entwickelt, um Verwechslungen vorzubeugen. Harz - Brocken; Schweiz - Alpen. Mögen die Stimmen derjenigen zum Schweigen gebracht werden, die nicht wissen, wovon sie reden. Die Schweiz nun ist außenpolitisch neutral, was bedeutet, sie tut nichts, aber auch gar nichts, wenn ein paar Kilometer weiter Völkermord geschieht - weil sie es kann. Dafür, dass die Schweiz dann aber doch etwas von den kriegerischen Auseinandersetzungen in ihrer Nähe hat, sorgen die Schweizer Banken, die wegen der Sicherheit der Schweiz weltweites Ansehen genießen. Überhaupt, die ganze Schweiz: Sicherheit, Sicherheit, Sicherheit. Stabilität, Stabilität, Stabilität. Man könnte ewig weiter so aufzählen. Die Schweiz ist so sicher, dass sie auf Wikipedia einen eigenen Absatz “Sicherheit” hat. Und das, obwohl dort alle möglichen Menschen in winzigen Tälern zwischen Bergriesen zusammengequetscht sind. Wie ist das möglich? Nun, eine andere Schweizer Erfindung ist die direkte Demokratie, was bedeutet, dass Leute dort progressive Entscheidungen immer sehr einfach verhindern können, indem sie einfach dagegen stimmen. Und dann haben Ausländer (so heißt das da noch, wg. direkter Demokratie) halt kein Stimmrecht und alle Welt feiert die direkte Demokratie. Aber da die Schweiz eine Willensnation ist, ist ihre inhärente Fremdenfeindlichkeit kein Problem. Denn einst kamen alle Menschen, die jetzt die Schweiz bevölkern, in einem großen Konvent zusammen und beschlossen, dass sie ab jetzt eine Nation sind, die etwas anders ist als die anderen. Man stimmte schnell per direkter Demokratie über die Einführung komplexer Sozial- und Schulsysteme und direkter Demokratie ab, dann wurde gemeinsam aus einem riesigen Topf Fondue gegessen (dieser überdimensionale Fonduetopf findet sich heute irgendwo im Kanton Graubünden, man muss nur wissen, wo). Und an einem Land, das so eine schöne und gemeinschaftliche Entstehungsgeschichte hat, gibt es nun einmal einfach nichts auszusetzen. Bis heute ist die Schweiz Bewahrerin nicht nur internationaler Verträge oder der Hauptquartiere aller möglichen Organisationen, die parasitär von der unfassbaren Krisenfestigkeit der Schweiz profitieren wollen, sondern auch von zahllosen unterhaltsamen Traditionen wie dem Trachtentragen, der Landsgemeinde, dem Bewahren von Traditionen und der Sterbehilfe. Ein tolles Land, diese Schweiz. In der Schweiz wird sogar Donald Trump zahm, war neulich in den Zeitungen (der Schweiz) zu lesen. Die Schweiz hat seit jeher eine gewaltige Außenwirkung, dass zB in Deutschland alles sofort nach ihr benannt wird, was entfernt nach Hügelbildung aussieht (Fränkische Schweiz, Märkische Schweiz, Holsteinische Schweiz). Die Schweiz belegt auf allen globalen Rankings, zB Sicherheit und Stabilität betreffend, einen Platz. Der einzige Makel der Schweiz ist ihre schreckliche “Sprache”, das Schwyzrdtsch oder so, das man nicht versteht, aber auch nicht verstehen will. Es klingt, als sei es von jemandem entwickelt worden mit der Absicht, sich über das Konzept Sprache per se lustig zu machen. Die Schweizer können ihren Kantonen und Orten auch keine richtigen Namen geben: Sie heißen dann “Waadt”, “Zug”, “Innerrhoden”, “Uri” oder “Misox” - als hätte ein Kleinkind sich eine lustige Welt ausgedacht. Aber so ist die Schweiz ohnehin. Dennoch: Wenn ich in der Zeitung lese, dass die Orte “Ischgl” und “Zermatt” wochenlang von der Außenwelt abgeschnitten sind, kann ich das einfach nicht ernst nehmen.

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