grillmoebel
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27 Apr 2017
Wir hatten noch nie was gegen Homosexuelle, außer damals, als wir was gegen Homosexuelle hatten

Es muss aufhören, dass davon geredet wird, dass Menschen attraktiv sind, ob wegen oder trotz ihrer Figur, ob Brad Pitt oder die hübsche Frau auf dem Plakat da. Es muss aufhören, weil es in der basalsten Aussage bereits falsch ist. Man halte mich gerne für eine_n Haarspalter_in, aber Menschen sind nicht attraktiv, können es gar nicht sein, weil das Wort eines Objektes bedarf, für das sie anziehend sind. Ich bin dann attraktiv, wenn mich eine oder mehr Personen attraktiv finden – außerhalb davon kann überhaupt keine (wahre) Aussage gemacht werden. Möchte man es unbedingt mit „sein“ konstruieren, ist nur zulässig, zu sagen: „Brad Pitt ist potenziell attraktiv, was deutlich weniger selbstverständlich klingt als das von mir kritisierte; und das wäre eigentlich sogar gut. Gerade die Selbstverständlichkeit, mit der dieser Sprechakt einhergeht, ist nämlich gefährlich, indem sie diejenigen, die eine wenigstens grobe Kritik an dem Unmaß an im Alltag erlebter Oberflächlichkeit ausbilden, fast dazu zwingt, aus den gewonnenen Erkenntnissen keine Schlüsse zu ziehen; wie anders wäre es doch!, würde man nicht dauernd überall Sätze hören wie „Er ist nun mal ein attraktiver Mann“ oder „Du kennst sie doch. Sie hat ein sehr hübsches Gesicht“. Sie hat kein hübsches Gesicht, du findest, dass sie ein hübsches Gesicht hat, du Trottel. Mich widert diese Selbstverständlichkeit an, da in ihr eine zutiefst menschenverachtende Bewertungsfolie legitimiert wird, die es nicht gibt, weil es sie ja gar nicht geben kann; Anziehung kann nicht allgemeingültig sein. Dass manche Menschen von vielen anderen anziehend gefunden werden – geschenkt. Das bedeutet nichts- die Aussage kann niemals für alle gelten. Dies anzuerkennen, dass nämlich „XY ist attraktiv“ eine absolute und allgemeingültige Behauptung ist, die aber gleichzeitig dadurch immer unwahr sein muss, macht den entscheidenden Unterschied. Die bisher praktizierte Norm fördert Ungleichheit und damit ein Unmaß von abscheulichen Dynamiken (Selbstabwertung, Diskriminierung, Essstörungen, Depressionen etc etc), indem sie vorgaukelt, dass Attraktivität ohne das Subjekt gedacht werden kann, das eine Person attraktiv findet. Die winzige Berichtigung vorzunehmen, dass eben nicht rein objektiv von Attraktivität gesprochen werden kann, ändert nicht die Realität (dass zB mehr Leute Brad Pitt attraktiv finden als Donald Trump), aber verwandelt diese Ungleichheit in Gleichheit, indem nämlich ein_e jede_r das (gleiche) Potenzial hat, attraktiv zu sein.
Kurz zusammengefasst: Der Satz „Brad Pitt ist attraktiv“ ist niemals wahr, der Satz „Alle Menschen sind potenziell attraktiv“ ist immer wahr. Diese Lösung lässt Quantität Quantität sein und nicht in Qualität verschoben werden – wenn alle attraktiv sein können, ist die Anzahl der Bewunderer vielleicht nicht mehr so wichtig.
Diese meine Gedanken widersprechen im Übrigen nicht jenen (zugegeben: sinnlosen) Forschungen darüber, „was wir attraktiv finden“, also Symmetrie, Wangenknochen, blablabla und deren Herleitungen aus biologisch-evolutionärem Erbe. Auch hier ist es vielmehr ein bewusst falsches Darstellen der Ergebnisse. In den Medien heißt es dann: „Studien beweisen – Menschen mit symmetrischen Gesichtszügen sind attraktiver“, während in den Studien selbst nur untersucht wird, welche Faktoren auf wieviele Menschen anziehend wirken; es geht also wiederum um Quantität, die dann als Qualität verkauft wird, denn die kapitalistische Gesellschaft braucht natürlich die Vorstellung von objektiver und damit bezahlbarer Schönheit (Kosmetik, Operationen, Ratgeberliteratur etc); wären alle Menschen bereits attraktiv (potenziell, s.o.), müssten sie ja nicht an einem beraten werden, wie sie möglichst schnell attraktiv(er) werden.

Es nervt mich irgendwie, dass ich das hier erklären zu müssen glaube, aber ich höre zu oft diese offensichtlich falschen Sätze, auch aus sympathischen Mündern. Möge das sich hiermit ändern.

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