grillmoebel
Analytisches Prosa Nichtprosa Musiknerdtum Kommentare zum Zeitgeschehen wiederkehrende Rubriken Fragmente Meta Blogroll (alt)

27 Aug 2016
Das Internet sagt, ich bin Goethe (kein Witz)

Ich finde es faszinierend, wie Lebewesen langsam vergehen, ob jetzt ein Baum riesige Wölbungen bekommt, wenn er alt und krank ist oder ein Hund oder ein Mensch ergraut und Falten wirft. Dass du halt auch nicht immer fitter und besser wirst, bis du 80 bist, und dann einfach den Löffel abgibst, sondern gezwungen bist, dein Ableben jahrzehntelang mitzuerleben, finde ich einen interessanten Punkt. Zum Einen würde ich spätestens hier einen wohlwollenden Schöpfer ausschließen, denn nur ein grausamer Sadist könnte sich so etwas ausdenken. Ernst gemeinte Frage: Wenn Gott über physikalischen Prozessen steht, warum werden wir nicht doppelt so alt und ohne das bewusste langsame Vergehen? Verdächtig, verdächtig. Aus meiner (gottlosen) Sicht zeigt sich hieran vor allem auch, dass das vielleicht der größte Kollateralschaden der Evolution ist, nämlich dass ein Tier intelligent genug geworden ist, das Konzept von Vergänglichkeit zu verstehen. Kein Wunder, dass sich da alle dran abarbeiten, sei es, wenn das unschuldige Kind fragt, was sterben ist, und man damit den Grundstein zu obiger bewusster Agonie legen muss, sei es, dass alle ihren Körper zum Tempel auserkiesen, um diese Vergänglichkeit möglichst lange zu leugnen; dazu kommen Berichte über 80-jährige, die irgendwelche dummen Rekorde aufstellen. Auch wenn es in vielen Lebensphasen den Druck gibt, jung zu sein, ist er im Alter paradoxerweise am höchsten, anstatt dass den Leuten irgendwann mal gegönnt wird, dass sie sich ein bisschen erholen und gehenlassen. Fett werden im Alter, warum zum Teufel nicht? Alles totaler Schwachsinn. Und doch verständlich, selbst hier auf Grillmöbel kommen wir nicht mit der Vergänglichkeit des Selbst klar, vielmehr sind wir der Meinung (jetzt klinge ich wie ein philosophisches Zweigespann im letzten Jahrhundert), dass niemand das vermag, außer vielleicht durch Selbstbetrug wie irgendwelche Yogis oder sogenannte souveräne Menschen, die mit allem klarkommen. Verdächtig, verdächtig. Das beste (und natürlich ungeheuerlichste) Verdrängungskonzept liefern seit Jahrtausenden die Religionen mit einem Jenseits, über das wir aber „nichts wissen können“ oder das „vom menschlichen Verstand nicht fassbar ist“. Anstatt dass sie das dann aber entsprechend kryptisch halten wie Karsack oder wie Robert Merle Madrapour nennen, beschreiben sie munter, worin jene jenseitige Existenz so besteht und nennen es auch gerne „ewiges Leben“. Ein solches Vorgehen […] widerspricht nach unserem Ermessen diametral der Behauptung, dass das Jenseits nicht fassbar ist, denn was nicht vorstellbar oder begreiflich ist, sollte nicht auf eine Weise oder mit Begriffen beschrieben werden, die äußerst vorstellbar sind. Das „ewige Leben“ zB ist einer der grausamsten Zustände, die ein Mensch sich vorstellen kann, denn nichts ist, was nicht durch ewige Dauer vollständig nivelliert wird. Oder: Auch Glückseligkeit muss irgendwann langweilig werden. Jede Rechtfertigung einer solchen Vorstellung muss sich zwangsweise menschlicher Logik entziehen (was dann ja auch regelmäßig getan wird à „unvorstellbar“, „nicht den weltlichen Gesetzen unterworfen“, „kein physischer Zustand“ usf) und ist damit natürlich nur für diejenigen unter „uns“ relevant, die dazu ohnehin bereit sind – also die religiösen. Der banale Schluss: Das zu glauben ist exakt wie „Herr der Ringe“ für wahr oder möglich zu halten. Das Problem bleibt für mich ohne Lösung und wenn ich auch nicht sagen würde, dass ich Angst vor dem Tod habe (vgl Epikur: “τὸ φρικωδέστατον οὖν τῶν κακῶν ὁ θάνατος οὐδὲν πρὸς ἡμᾶς͵ ἐπειδήπερ ὅταν μὲν ἡμεῖς ὦμεν͵ ὁ θάνατος οὐ πάρεστιν͵ ὅταν δὲ ὁ θάνατος παρῇ͵ τόθ΄ ἡμεῖς οὐκ ἐσμέν.” - “Das schauerlichste Übel also, der Tod, geht uns nichts an; denn solange wir existieren, ist der Tod nicht da, und wenn der Tod da ist, existieren wir nicht mehr.”), so lebe ich sehr gerne, denn wenn man lebt, kann man was tun und ich bin ein sehr aktiver Mensch, deswegen schreibe ich ja auch diesen Blog, anstatt ihn zu lesen, was nur passive Menschen tun. Die kommen dafür wahrscheinlich besser mit der Vorstellung klar, irgendwann nicht mehr zu leben. Habe ich gerade angedeutet, dass Leute, die Blogs lesen, innerlich bereits tot sind? Naja egal.
Für Team Grillmöbel als knallharte Realisten bleibt natürlich die Frage, wie mit Vergänglichkeit umzugehen ist. Vorschlag: Sich nicht so viel Lebenszeit von Arbeit und Behörden klauen lassen und mehr Spaß auf Beerdigungen.

Analytisches Prosa Nichtprosa Musiknerdtum Kommentare zum Zeitgeschehen wiederkehrende Rubriken Fragmente Meta Blogroll (alt)