grillmoebel
Analytisches Prosa Nichtprosa Musiknerdtum Kommentare zum Zeitgeschehen wiederkehrende Rubriken Fragmente Meta Blogroll (alt)

21 Aug 2016
And if the church or the state can't find a cure for all the hate, then I can't find the need to vote or even pray (The Rumjacks - Blows and unkind words)

Eine der wenigen guten Entwicklungen, die diese bekloppten Empfehlungsalgorithmen auf Youtube.com jemals mit sich brachten, war, mich nach ausgiebigem Folkpunkkonsum auf dieses Musikvideo (Video irrelevant) zu verweisen. Nach wenigen Wochen (irgendwann 2011) konnte ich von dem dazugehörigen Album nur noch als dem „maßgebenden Folkrock-Album unserer Generation“ sprechen, man höre selbst und wage es zu widersprechen. 4 Jahre später, in denen die Rumjacks nicht ein einziges Mal in dieses blöde Land gekommen sind (eigentlich verzeihlich), erschien dann das zweite Album, dessen Qualität mir zunächst nach den unheimlich starken ersten 4 Songs etwas abzunehmen schien (mittlerweile habe ich eine kategorische Feindlichkeit gegenüber mollakkordlosen Songs abgelegt), doch nach unvorstellbar oftmaligem Hören… dann doch nicht, was mich bis heute verwirrt. Die Band selbst hat dazu nicht wenig beigetragen, gewisse starre Haltungen in mir aufzulösen, wie es nur eine gute Live-Band kann. Das, was mir auch an den Alben am Besten gefällt, nämlich dass die Musik (ich meine nicht die Produktion oder den Sound) sehr einfach und unredigiert klingt bis hin zu fast schon parodistischen Arrangements, war eben auch in der direkten Begegnung zu spüren. Ansatzweise populäre Bands, die Spaß an ihrer eigenen Musik haben, wird es zwar mittlerweile nicht mehr viele geben, die Rumjacks jedenfalls zeigen das in jeder Minute ihrer pausenfreien Setlist, die gerne mal 20 oder mehr Songs enthält. Und wer Spaß dabei hat, darf sogar Ska- und Reggaeeinflüsse in der Musik hören lassen; die Rumjacks sind daher die einzige Band, von der ich mir Reggae gefallen lasse. Nach wie vor verwirrend, freue ich mich, dass meine eigenen Dogmen durch wenige Konzerte abgetragen werden konnten und ich mittlerweile sogar den Song „Home“ irgendwie funky finde, Reggae mit Mandoline, warum nicht und sowas bei Grillmöbel! Egal, sie haben sich also nach langen Jahren gleich dreimal nach Berlin bequemt, was ich dank der Nähe zu Berlinchen, meinem eigenen Wohnort, super von ihnen fand, ich war jedesmal da und es war jedesmal ein hervorragendes Erlebnis, wenn auch unterschiedlich im jeweiligen Charakter, zum Glück. Die Rumjacks sind außerdem eine der Bands, bei der ich 5 Jahre brauche, um mal einen Text zu lesen, und das, obwohl es sehr gesangsorientierte Musik ist (Zitat jemand anders). Und auch da gibt es nette Sachen, zB eine äußerst gelungene und kunstvolle Kritik an Irish-Pub-Kultur in obigem Musikvideo, einen traditionellen Folktext (da geht es dann um Männer, die immer gearbeitet haben und dann am Ende merken, dass das nicht so gut war, vgl. Flogging Mollys „Far away boys“ oder die traditionelleren „Hot Asphalt“ oder „Building up and tearing england down“, wobei es manchmal auch nur um Männer geht, die viel arbeiten, ohne das andere äh Klammer zu) voller Melancholie und auch einen Rant-Song, was ich schon vom Konzept her sehr gut finde. Darüber hinaus eine Reihe kryptischerer und wortreicher Texte, aus denen sehr viel Gefühl spricht und die auch oft streitbar sind. Einiges, was ich teile und auch vieles, das ich nicht teile, aber keineswegs das Gefühl, dass den geäußerten Meinungen das Fundament fehlt. Das finde ich dann völlig ok, ebenso fällt mir zwar auf, aber ist mir auch wurst, dass hier natürlich auch wieder 5 Männer teilweise recht stereotyp unterwegs sind (siehe erneut obiges Video, falls immer noch nicht geschehen); ich werde den Teufel tun und die Musik von Menschen dämonisieren, nur weil diese nicht zu 100% mit meinen Anschauungen übereinstimmen, nein, das überlasse ich irgendwelchen wahnsinnigen pc-Knechten, für die es immer wieder eine Überraschung zu sein scheint, falsche Dinge in einer falschen Welt zu finden.
Egal. Weiter zu den Rumjacks. Dass die Gesangsstimmen genial sind, sollte ohne eine Erwähnung meinerseits rüberkommen, ebenso die Kunstfertigkeit der Lyriker, die der Metrik zuliebe einen Wust an bizarren Idiomen und Wortkürzungen („Ye’ve boilt nae mair’n ‘em old soup bones“) sowie abstrusen -zwischenschiebungen („hee-feckin‘-haw“;„kara-farkin-oke nights“) aufstellen, und das alles mit diesem australischen Englisch, was vielleicht nicht jedem gefällt, aber dafür auf jeden ungewohnt klingt. Außerdem verstehe ich oft kein Wort („I were cozened by a whiff-o-the-whim that scours the Costa harryin’“), das amüsiert mich.
Gute Textstelle: „I don‘t wanna die in this town, I‘ll smash it up for tearing me down“ (Barred for life)
Lieblingslied: Black Matilda/My time again/One summer‘s day im Wechsel (zumindest jetzt gerade)
Fazit: Flogging Molly für Arme, und das so gemeint, dass Flogging Molly 30 Euro kosten, die Rumjacks 10, während das gleiche Feeling transportiert wird. Green Ginger Wine klingt gleichzeitig lecker und abstoßend, aber schön, dass mal eine Frauenstimme zu hören ist.

Analytisches Prosa Nichtprosa Musiknerdtum Kommentare zum Zeitgeschehen wiederkehrende Rubriken Fragmente Meta Blogroll (alt)