17 Jan 2016
Fiktives Frischeltern-Journal X - Vorsatz
10: Vorsatz (dies beschließt den hier begonnenen fiktiven Themenkreis)
Liebes Baby,
es gibt sehr viele Dinge, die ich dir nicht sagen kann, zumindest nicht in der Art, dass du es begreifst. Für vieles, was ich so von mir gebe, wirst du vermutlich noch so viel Zeit brauchen, dass sie in Dekaden gemessen werden kann. Das ist gar nicht schlimm. Und doch wünsche ich mir manchmal, dass Empathie biologisch ist und mit der Geburt einsetzt, nicht weil du mir Haare und Mundinnenteile ausreißt, auch nicht wegen allerlei Körperflüssigkeiten, die du überall verteilst, oder etwa, weil du sehr viele Dinge kaputt machst. Das geht total in Ordnung. Aber nicht selten erwarte ich (aus sozialer Gewohnheit), dass du auch an mich denkst in deinem Alltag. Das kannst du natürlich nicht, denn du bist ein kleines, instinkt- und triebgesteuertes Wesen, dessen Welt ausschließlich aus Eigenbedürfnissen besteht. Bei dem es sehr viel von den äußeren Umständen abhängt, ob es letztendlich VR-Konsolen programmieren, reden, aber eben auch sich in eine andere Person hineinversetzen können wird. Und das von alledem noch sehr weit entfernt ist. Ich als haustierloser Mensch bin allerdings nicht daran gewohnt, mit dieser Art von Lebewesen ständigen Umgang zu haben, obwohl andererseits letztgenannte Fähigkeit in der bürgerlichen Gesellschaft, der ich ja auch irgendwie entstamme, nicht gerade häufig vorkommt. Und trotzdem will ich dir dann manchmal vorwerfen, dass du dich irrational verhältst, wenn du weder im Liegen noch Sitzen noch Stehen noch Getragenwerden zufrieden bist; wenn du gleichzeitig lachst und weinst.
Liebes Baby, mach doch mal locker, will ich sagen und dass eine zweiminütige Wartezeit auf eine warme Mahlzeit eher Luxus als Grund zum Weinen ist. Baby, auch ich muss irgendwann mal sitzen oder liegen. Baby, das ist nichts anderes als emotionale Erpressung, was du da tust, Frechheit.
Mensch Baby, wie kann das sein, dass die Instinkte in dir nicht sagen, dass Schreien und Schlafen gleichzeitig nicht funktioniert? Dass du an einem Abgrund nicht einfach weiterkrabbelst? Dass nicht alles weg ist, was nicht in deinem Gesichtsfeld ist?
Schade, dass ich Atheist bin und sowas nicht auf das Versagen Gottes schieben kann. Die Evolution meint es scheinbar gut mit Menschenbabys, die können sich ganz schön viel erlauben, mehr als zB ein neugeborenes Pferd oder Okapi.
Naja Baby, ich bin ja nur eine von drei Personen, mit denen du 24/7 Schindluder treiben kannst und obendrein noch nicht völlig kaputt von Arbeit oder Sachzwängen. Und so bleiben diese Sachen schön in meinem Kopf, wo sie hingehören bzw ich schreibe sie auf meinen Blog, wo man ohnehin „jeden Unsinn“ (iX Magazin 01/2016) veröffentlichen kann. Denn ebenso wie es klar ist, dass ein kritischer Mensch in dieser unserer Zeit und Gesellschaft nicht davor vorgesehen ist, ein Kind ohne Kollateralschäden großzubekommen (und ein unkritischer noch viel weniger), so ist jedes Wort an dich, dass sich nicht an deinen, sondern meinen Maßstäben orientiert, nichts anderes als Machtmissbrauch. Und das brauchen wir hier nicht.
Sie sagen, du wirst schon noch sehen und meinen damit, dass alle Eltern ja ihr Bestes geben und ich nicht was Besseres bin ob meiner guten Vorsätze. Wenn ich aber die immer brutaleren äußeren Umstände nicht ignoriere, sondern berücksichtige, indem ich mich von der Kleinstfamilie verabschiede, so ist das eben nicht dasselbe. Die Kleinstfamilie ist kaputt und macht alle kaputt wie nie zuvor und daher tut – wie gesamtgesellschaftlich – eine grundlegende Veränderung not, liebes Baby. Eine Person mehr ist nicht das Ideal, aber besser allemal.
Sie sagen, der und der ist immer zu fertig, um noch was mit dem Baby zu machen, schade! Du merkst, wenn ich keine rechte Motivation für dich aufbringen kann, Baby, und vergeltest es mir mit Gejammer und Radau – gut so! Das zeigt, dass guter Wille im Jetzt nicht ausreichen kann. Nicht nur die Kleinstfamilie ist kaputt, auch das meiste andere, was den Alltag jetzt bestimmt. Und das feste Vorhaben, sich nicht knechten zu lassen, ist für dich, liebes Baby, vielleicht der springende Punkt.
Sie zwingen ihrem Baby Sachen auf und „meinen es nur gut“. Was nutzt es einer Person, dass etwas „gut gemeint“ ist? „Gut gemeint“ orientiert sich nie an der betroffenen Person, immer an der ausführenden, anders gesagt kann Hitler es „gut gemeint“ haben. Liebes Baby, ich werde es niemals gut mit dir meinen, soviel steht fest.
Sie nennen die Politik familienfreundlich. Die Politik ist freundlich zu Familien, die den gängigen Normen entsprechen und sich brav wieder knechten lassen, sobald die paar Monate Elternzeit vorbei sind (denn mehr Zuwendung brauchst du wohl nicht, Baby). Die Politik wird jede Gelegenheit nutzen, die Bezugspersonen wieder von dir wegzunehmen und dabei nicht mit der Wimper zucken. Die Politik als das wahrzunehmen, was sie ist, ist der erste Schritt zu einer Erziehung in der Realität.
Sie sagen, du wirst auch Fehler machen und meinen, alles war gut so. Klar werde ich, werden wir Fehler machen, wir sind ja nicht perfekt, aber sie würden es nicht sagen, wenn es so trivial gemeint wäre. Wir werden vor allem ein paar sehr schwerwiegende Fehler nicht machen. Und liebes Baby, wenn eines nicht heißt, dass wir alles richtig gemacht haben, dann ist das deine finanzielle Unabhängigkeit. Das gelingt denen nämlich am Leichtesten, die am wenigsten Mensch bleiben konnten in ihrer Erziehung.
Also, Baby, ich lasse meine Irritationen über dein unschuldig asoziales Verhalten höchstens dadurch raus, dass ich dich mal höhnisch nachäffe und dabei in zwei verschiedene Richtungen schaue. Und wenns mal nicht passt mit uns beiden, muss halt wer anders ran. Hauptsache, du wirst kein Teil des Zeitgeistes.