grillmoebel
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19 Dec 2015
Momentaufnahmen eines Musiknerds III – Ich halte wirklich nichts vom Fasten

Nachdem Edgar Wasser sich in die Kategorie Deutschrap einteilen lässt und dort auch die Antilopengang zuhause sein kann, war ich sehr gespannt auf das Konzert letzterer, denn wiees bei ersterem war ich den Abend bei ersterem erlebt habe, wurde ja bereits in diesem berühmten Beitrag beschrieben und hat demzufolge einen bleibenden Eindruck bei mir hinterlassen. Jetzt drängen sich alle möglichen Sachzwänge auf für einen Nachfolgeartikel, weshalb ich beschlossen habe, dass es keiner ist. Rezensionen schreiben möchte ich vor allem deshalb, weil es Spaß macht, eine gute und unterhaltsame Rezension zu verfassen und zu lesen und es da fast nur Mist gibt, was zum Einen wahrscheinlich an Selektion und Zensur liegt, aber auch und vor allem an den lächerlichen Traditionen der Popkultur und Kulturwissenschaft, die ich über alles verachte, weil sie durch die vielen Dinge, die ich lese, den Weg in mein Gehirn gefunden haben. Als müsste ich die Musik der Antilopengang irgendwie einordnen, Bezüge herstellen zu anderen (am besten kanonisierten) Künstler_innen, in schwülstigen Metaphern reden, die entweder Akademiker oder die 14 bis 29-jährigen ansprechen und so eine Art pseudoobjektiven Standpunkt einnehmen, den es nicht gibt und nicht geben sollte. Nein, nein, so machen wir das nicht. Die ganzen Leute raffen einfach nicht, dass ich als einzelne Person nun eben nur mein eigenes Erleben beschreiben kann, und das geht so:
Der Raum wabert weniger als erwartet und das Publikum ist erschreckend angenehm, was ein Landei wie ich im großen Berlin, unter dem, wie die Antilopen richtig bemerken, auch nur eine Kanalisation zu finden ist, immer wieder überraschend finden muss. Aber der Abend beginnt nicht mit der Hauptband (wäre auch mal interessant), sondern dem Support Act, diesmal Fatoni, was mich sehr freut, denn den kenne ich, weil er irgendwas mit Edgar Wasser zusammen gemacht hat, und wenn er irgendwas mit Edgar Wasser zusammen gemacht hat, ist er vielleicht gut. Und so ist es auch, der Typ ist einfach sympathisch mit seinen schlechten Witzen, die er gekonnt mit Selbstironie konterkariert (das war jetzt wieder typischer Review-Sprech, nur so als Beispiel). Gut zum reinkommen auf jeden Fall und nicht belanglos. Nach einer Pause mit einer großartigen Playlist (NMZS, Knochenfabrik u.ä.) sehe ich, dass ein Instrument aufgebaut ist, eine Art selbst zusammengeschrottetes Halbakustikschlagzeug, vielleicht vergleichbar mit dem Conundrum von der Waits-Platte „Bone Machine“ (Popkultur-Alarm), das sie scheinbar extra entworfen haben, um mich und elektronische Musik auszusöhnen. Danke, Leute und es wirkt, denke ich, als dann das komplette Konzert da jemand nicht nur scratcht, sondern auch drumt, sogar ein extrem absonderliches Solo spielt er (hat auch was von Waits, Schluss mit der Popkultur. Es folgt ein Post über die Dialektik der Popkultur, versprochen!) und macht sich dabei zum Affen. Aber auch die andern machen gute Sachen, sie verpunken Hip-Hop, bis jemand „Ist das noch True“ fragt und damit „Man darf das nicht“ meint, sie spielen kitschige Klavierballaden, ohne um Erlaubnis zu fragen und das alles fühlt sich keiner Kategorie zugehörig, was mal schön ist. Es gibt ein NMZS-Gedenkmedley, was von mir aus gerne hätte länger sein können, aber auch in anderen Tracks findet sich die verzweifelte und boshafte Attitüde, die den Fehler macht, über die Realität zu rappen, wieder, so dass er nicht komplett fehlt. Ich stehe zudem so weit vorne, dass ich zum ersten Mal seit Jahren die Stars wieder richtig erkennen kann und freue mich darüber, dass zwei der drei einen schönen, weil großen Bauch haben. Überhaupt muss jetzt mal ein wenig objektiviert werden hier; immerhin haben Männer da ja auch noch ungefähr 100000 Jahre wiedergutzumachen und da hab ich mich schon gefreut, als Koljah meint „Ich hatte noch nie Sex“ und mich danach angrinst (ganz genau!) und mir seinen Bauch entgegenstreckt. Ich denke, insgesamt kommt ein großer Teil solcher Attraktivität daher, zuzusehen, wie Leute auf eine irgendwie kreative Weise das machen, was sie gerne machen, und die Bäuche sind eigentlich nur Nebensache. Der Track „Verliebt“ ist auch einer der letzten und, was mich angeht, Besten, weil ich mich heimlich angesprochen fühle. Für mich alles Neuland, so müssen sich wohl Leute vor einigen Jahren bei Justin Bieber und Miley Cyrus gefühlt haben (bevor die erwartungsgemäß durchgedreht sind).
Ganz am Schluss kommt noch All Time Favourite „110“ und komplettiert das Erlebnis, im Abspann läuft „Wir müssen hier raus“ von Ton Steine Scherben und es fühlt sich ehrlich an und das nicht nur, weil Tausende von Leuten wirklich hier rausmüssen. Was Hip-Hop-Klischees angeht, bin ich etwas enttäuscht über das mediokre Maß an Waberei und Marihuana, aber immerhin gab es die albernen Handbewegungen (reichlich) und ich habe vor lauter Nicken eine (Ge)nickstarre, um auch mal einen Witz à la Fatoni zu reißen, allerdings ohne DJ mit Tusch. Das einzige, was wirklich fehl am Platz ist, sind die Roadies, die während der Live-Performance auf die Bühne rennen, um Müll einzusammeln, den das Publikum da nach und nach anhäuft (Plastikbecher, Tüten etc). Mir fällt einfach kein Grund ein, weshalb sie das tun könnten außer, um Ordnung zu schaffen, aber wer zur Hölle will das? Roadies mit Sauberkeitsneurosen, das wäre ein guter Track für ein nächstes Album.

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