13 Jul 2014
Ich bin ein denkender Mensch, ich bin wütend und das muss reichen!
Diesen Post gibt es auch in nichtprosaischer Form
Dass der Kapitalismus an allem schuld ist, steht für mich nicht zur Debatte, aber gerade in Zeiten düsterer Grübelanfälle scheint es mir, als ob dieser schlimmste aller Auswüchse, das Konkurrenzdenken nämlich und die damit einhergehende Hierarchisierung sehr viel tiefer und um vieles subtiler in den Menschen vorhanden sind als die es definieren, die sich als selbstreflektiert und bewusst lebend begreifen. Wie des Öfteren beobachtend unterwegs, stelle ich fest, es geht scheinbar der großen Mehrheit darum, ihr Auftreten, ihr Aussehen, ihr Leben als etwas besonderes darzustellen, als wäre das eine existierende objektive Kategorie. Was dazu führt, dass, was als Individualismus bezeichnet wird, mit Methoden arbeitet, die in sich das negieren, was letztlich tatsächlich individuell ist, nämlich WAS ICH WILL. 2500 Jahre vor „Wer bin ich und wenn ja, warum lese ich Populärphilosophie?“ hätten die Leute das vielleicht eudaimonia genannt, wären dabei im Lustgarten oder der Wandelhalle umhergelaufen und hätten versucht, mithilfe eines groß angelegten Gastmahles diesem subjektiven Glück näher zu kommen. Heute ist es anders. Was ich will, scheint der Kapitalismus bereits geklärt zu haben, ohne mich zu fragen, so jedenfalls wirkt es auf mich, wenn ich observierend unterwegs bin. Individualismus fast ausschließlich als Abgrenzung: ich unterscheide mich von dir darin, dass ich so und so aussehe, das und das damit ausdrücke, indem ich mich so und so verhalte, weil ich das und das für richtig halte, indem ich so und so rede, weil ich das und das damit sagen will, indem ich das und das tue in meinem Leben, während du anders aussiehst, redest, lebst und handelst. Denn du bist anders, du bist nämlich nicht ich und das ist wichtig. Wenn ich lebe, wie ich es für richtig halte und du lebst, wie du es für richtig hältst, ich aber für falsch, warum denke ich sofort, dass ich besser bin als du?
Es entsteht ein ständiger Druck, sich zu unterscheiden, Alleinstellungsmerkmale zu sammeln. Wenn das nicht klappt, was bei 7 mal 10 hoch 9 Individuen irgendwie zu erwarten ist, heißt die Lösung Perfektionismus. Dieser tritt noch mehr als im eigenen Lebensentwurf vor allem in den Erwartungen hervor, die an andere gestellt werden: Eine Handvoll Rechtschreibfehler dienen als Grund, ein inhaltlich großartiges Buch zu entwerten. Eine Künstlerin oder ein Musiker muss „schon was können“, am Besten gar technisch perfekt sein, um positiv angenommen zu werden. Ein philosophisch gebildeter Mensch muss Nietzsche und Heidegger gelesen haben, um an einer Diskussion über Asylrecht teilzunehmen. Ein politisch interessierter Mensch muss auf Kommando eine Zeittafel des Nahostkonfliktes aufzeichnen können. Ein Blog muss originell und innovativ sein, alle Dialoge der Welt müssen schlagfertig sein, ich muss jeder Situation souverän begegnen. Wo endet das? Es verwundert mich nun nicht mehr, dass nach wie vor Sozialdarwinismus bestimmt, wie Menschen miteinander umgehen. Und zwar auch dort, wo einige sich „emanzipiert“ haben.
Nur eben subtiler.
Zusammengefasst muss mein Leben also nicht nur was besonderes sein, sondern auch noch perfekt und alle anderen bewerten das pausenlos für mich. Das klingt mir definitiv zu anstrengend, so will ich nicht leben. Deswegen: Innovationsdruck, Perfektionismus und all diese beschissenen Automatismen aufbrechen! Ich will und werde weiterhin Fehler machen und unfähig sein!
Verdammt noch mal.
Und deshalb ist dieser Blog so, wie er ist.
Meta: Ich habe diesen originellen und innovativen Blogeintrag geschrieben, weil ich dieses Problem unserer Gesellschaft als einziger Mensch durchschaut habe. Wer mir das widerlegen kann, schicke mir eine Email. Unter allen (gültigen) Einsendungen werden verlost: 10 Fußballfelder, eine Liste aller Saarländer, die je bei Thor Steinar etwas bestellt haben und die gefälschte Rabattmarkensammlung von Franz Josef Strauß.