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01 Jan 2016
Nein, jetzt nicht, Mama postet gerade - Lemmy R.I.P. 2

Natürlich lasse ich es mir nicht nehmen, tatsächlich einen Nachruf zu verfassen, oder vielleicht sogar eine Nachruf-Quadrologie? Ohne Zweifel ist nämlich ein Mensch gestorben, der diese ekelhafte Gegenwart bereichert hat, da sind sich die Mainstream- und überhaupt alle Medien mit mir einig. Und das ist verdächtig, warum stürzten und stürzen sich alle wie bekloppt immer wieder auf das Phänomen Lemmy, teilweise sogar mit dem Halbwissen über die Existenz eines solchen Phänomens? Es gibt zahlreiche sogenannte Rockstars, die schon ähnlich lange Musik machen, ähnlich zerstörerisch leben und ähnlich erfolgreich sind, wenn man das an Verkaufszahlen misst, was man natürlich nicht tun sollte. Um die kümmern sich dann die Genrezeitschriften und Promipostillen. Nicht so bei Lemmy. Dazu zwei Theorien, eine popkulturelle und eine aus der Negation.
Aus den Zeiten, wo Musik und ein gewisses Freiheitsverlangen noch miteinander zu tun hatten (zB Bob Dylan, Woodstock etc), blieb Lemmy über Jahrzehnte als einziger übrig, der zum Einen das Sein dem Schein vorzog und zudem kein Trottel war oder tot. Soviel zu Theorie 1, interessanter und wohl zutreffender wird Theorie 2 sein, gemäß der die Organe der herrschenden Ideologie, von den bürgerlichen Zeitungen bis zum Springerblatt Metal Hammer, die radikalen politischen Botschaften, die in vielen Motörhead-Texten zur Sprache kommen, verschleierten, indem sie sich in Interviews und Berichten ausschließlich auf die Konstruktion einer popkulturellen Legende anhand von Belanglosigkeiten konzentrierten. Und so ist es, die medialen Auswürfe zum Thema L. Kilmister drehen sich lahmerweise um Drogen, Sex, seine eigene (und vor allem sehr unbürgerliche) Art zu leben, die natürlich gerne behandelt wird, als geringeres Übel zu brisanten Gedanken. Kein Schwein interessiert sich für die klaren Absagen an jede Form der Regierung, an Ausbeutung von Mensch und Natur zur Profitvermehrung, an jede Form religiöser Überhöhung, oder für die Forderungen, aus Geschichte zu lernen, die recht treffende Analyse kriegerischer Auseinandersetzungen und den Ekel vor dem, was heute die langweilige Norm des bürgerlichen Lebens ist. Dienlicher ist es, ein Bild von einer gefährlichen Person so zu zeichnen, dass durchaus ein Teil Wahrheit enthalten ist, der sich aber eben auf die Aspekte der Person beschränkt, die der herrschenden Ordnung nicht gefährlich werden können. Nun ja. Immerhin hat Lemmy die vielen unerwarteten Jahrzehnte nicht im Sinne dieser Ordnung verbracht und nur noch mehr gute Lyrics fabriziert; wer sein Spätwerk unterschätzt, ist selbst schuld. Ah, da fällt mir ein, hier noch für alle Popkultur-Dogmatiker-Motörhead-Fans: Nach 1980 kam das meiste Gute der Band, „Hammered“ ist ein hervorragendes Album, sexistische Rock’n’roll-Texte sind bestenfalls langweilig und sicher nicht die Essenz des Ganzen und mein Lieblingslied ist „Eat the gun“ (read the lyrics).
Hier übrigens ein Video, das einiges des Gesagten ganz gut zeigt.

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