grillmoebel
Analytisches Prosa Nichtprosa Musiknerdtum Kommentare zum Zeitgeschehen wiederkehrende Rubriken Fragmente Meta Blogroll (alt)

16 Dec 2015
Pippi Langstrumpf kann nur tun, was sie will, weil sie sehr viel Geld hat

Es ist einfach, zu sagen: „Der Mensch ist eben schlecht“, so wie es einfach ist, zu sagen: „Gott war’s“ oder „Die Juden“. Einige Gedanken zu Verkürztheit.

1: Erkennt man an, dass das Erkennen sämtlicher Erkenntnisse, die da sind, unmöglich ist (und das sollte man), ist jeder Gedankengang verkürzt.
2: Punkt 1 ist zwar wahr, aber deshalb noch lange nicht ein Erkenntnisgewinn.
3: Einige Ansichten sind verkürzter als andere.
4: Alles ist komplexer als wir es gerne hätten.

Bequemlichkeit im Handeln kann super sein, wenn sie zu Entspannung und Geld vom Staat führt, Bequemlichkeit im Denken ist sehr gefährlich, wenn unbewusst und ein Verbrechen, wenn bewusst. Ahne ich bereits und wenn auch nur verkürzt, dass die heile Welt keine ist, und lebe sie dennoch weiter vor mir her, so ist das eigentlich ein tiefster menschlicher Widerspruch. Dass der zur Norm taugt, ist erschreckend, aber offenbar Realität, was Gründe haben muss. Angst vor Komplexität ist einer davon, ein weiterer Angst vor Inkonsequenz, letztlich aber vor allem Angst vor Angst, vor Ohnmacht, vor Verzweiflung. Es zeigt sich, dass kein Terrorismus nötig ist, um die Menschen in einem dauerhaften Angstzustand leben zu lassen, das schafft bereits die aufgeklärte kapitalistische Realität. Das Problem ist, dass das nicht aufhört, sobald man die Realität anerkannt hat als die Scheiße, die sie ist. Vielmehr locken überall weitere Formen verkürzten Denkens. Alles, was einfach ist, hat sofort bessere Chancen, ins Weltbild aufgenommen zu werden; da völlig klar sein sollte, dass alle Ismen irgendwo auf Vereinfachungen basieren, sei hier wie üblich das subtilere thematisiert: besonders gut funktioniert verkürztes Denken bei absoluten Werten (nichts ist einfacher als das Absolute, Kategorische ohne Ausnahmen). Natur und Natürlichkeit zB, setzen wir diese als absolute Werte, erklärt das beispielsweise die wirren und undifferenzierten Aussagen über Gentechnik: Gentechnik ist das Gegenteil von Natur, Natur gut, also Gentechnik schlecht. Oder Traurigkeit, die als etwas Negatives gilt anstatt etwas Angebrachtes, weil Fröhlichkeit und gute Laune absolute Werte bilden. Absolute Einseitigkeit ist auch unter Menschen, die im Reflektieren schon weiter sind, eine große Gefahr, da auch die Ablehnung von schrecklichen Dingen als absoluter Wert lockt. So wirken ab einem gewissen Punkt immer nur noch Assoziationsketten wie Kritik am Islam = Antiislamismus = AfD oder Bürgerinitiativen = Konterrevolution = das Böse. Komplexe und spannende Themen zergehen zu einer Frage von Ja und Nein. Alternativmedizin = Alternativ, also Ja. In die andere Richtung Mülltrennung = Ökospinner, also Nein. Queerfeminismus ist zu verkopft, also abzulehnen; viele Tierrechtsaktivist_innen sind dogmatisch, also ist das komplette Thema gestorben. Scheiße nochmal, auch wir tollen emanzipatorischen Leute müssen differenzieren, wenn wir eine Meinung haben wollen, und dass irgendwer etwas emanzipatorisch nennt, macht es nicht zum absoluten Guten. Niemals etwas als absolutes Gut, überhaupt als absolut annehmen, auch nicht Frieden und Liebe. So einfach kann es im Moment nicht sein.
Ein anderer Aspekt schleicht sich in das Thema hinein und (wer hätte es gedacht) verkompliziert alles, nämlich die politische Gruppenzugehörigkeit. Wenn ganz klar ist, was „die Linke“ denkt und will, dann ist sie auch nur ein langweiliger festgelegter Teil des Bestehenden, nur da, um zu Scheitern. Kriegseinsatz gegen den IS (hier übrigens die Ausnahme, das tatsächlich absolute Böse), Kritik am Islam, Reichstagsbrand, Ökodiktatur. Ja, ja, ja und ja. Darf die Linke und ich als Teil davon das denken? Das sollte definitiv nicht die Frage sein, die ich mir bei diesen Themen stelle. Was darf die Linke? Mir egal, bin ja nicht ich. Wie steht die undogmatische/queere/Berliner/autonome/Neue Linke zu Antisemitismus? Weiß ich nicht, aber was bringt uns das, das zu wissen? Ich will nicht etwas nicht denken dürfen, weil es den alten linken Werten zu widersprechen scheint. Ich will niemals das Gefühl haben, etwas nicht äußern zu können, weil es streitbar ist. Und wenn ich Scheiße erzähle, sag es mir halt und setz dich damit auseinander. Für eine linke Bewegung „zu sprechen“, sich ihr „zugehörig zu fühlen“ meißelt die vielleicht gemeinsamen Inhalte in Stein, setzt sie absolut. Wie soll eine Bewegung auf einen alles ändernden Umsturz hinwirken, wenn sie Dinge für absolut hält? Nichts, aber auch nichts, was ich heute denke, muss ich in 10 Jahren noch denken, nicht in dieser Welt. Und das ist ausnahmsweise auch mal gut so.

Analytisches Prosa Nichtprosa Musiknerdtum Kommentare zum Zeitgeschehen wiederkehrende Rubriken Fragmente Meta Blogroll (alt)