19 Nov 2015
Fiktives Frischeltern-Journal IX - Glück
9: Glück
Ich gehe mit dem Baby im semiprofessionell gebundenen Tragetuch die Straße entlang, als plötzlich einer ruft: „Da, ein Deutschkurs!“ Im nächsten Moment merke ich, dass da niemand gerufen hat, dass das einfach nur meine in der Nachmittagsmüdigkeit knisternden Gedanken waren. Richtig war die Information dennoch; durch ein großes Fenster kann ich sehr gut einen Raum voller Leute sehen, die aus dem einen oder anderen Grund deutsch (also die Sprache) lernen. An der Tafel stehen Wendungen des deutschen Alltags: „Wie geht es dir?“ steht da. Wer deutsch lernen will, und hier ist klar, dass Sprache immer mehr ist als Sprache und dass Leute, die nicht bereits deutsch sind, auch immer mehr lernen sollen als nur deutsch sprechen, nämlich am besten deutsch sein, wer also deutsch werden will, hat, so gibt die Tafel vor, folgende Antwortmöglichkeiten auf genannte Frage:
(Wie geht es dir?) Super.
(Wie geht es dir?) Alles in Ordnung.
(Wie geht es dir?) Viel Arbeit.
Es heißt immer, dass Dinge unfreiwillig komisch sind; ich jedenfalls habe selten etwas gesehen, was so unfreiwillig wahr ist. Muss ich davon überhaupt eine Analyse liefern? Liest sonst irgendein NeueMedienProjektManagementAberAuchWirtschaftStudent meinen Blogpost und formuliert eine fundierte Kritik darüber, wie ich unwissenschaftlich argumentiere? Als gebe es für Gedanken Naturgesetze, Formalismen und Konstanten.
Ich leite nun vom Aufhänger, wie ich es im Deutschunterricht in Schule und Universität gelernt habe, elegant auf das eigentliche Thema des Textes über, dass da sei Glück.
Zu diesem Zwecke rezensiere ich das Buch „Be happy“ (2011 im Fundiverlag Herder) von Iris und Jochen Grün, da es im Untertitel „Schlüsselworte zum Glück“ verspricht, die aber natürlich nicht von Iris und Jochen Grün stammen, wer immer das sei, sondern von Prominenten wie zB Demokrit und Wolfgang Joop.
Das Buch zu lesen dauert nicht lange, etwa zwischen einer und 5 Minuten, je nach Lesetempo, was schon einmal ein Vorteil ist. Die etwa 55 Aussprüche lassen sich sehr einfach in vier Kategorien einteilen: Die Zitate der ersten Kategorie sind, zumindest derart ohne Kontext, ganz gut.
So sagt irgendein wohl Theologe: „Um wirklich glücklich zu sein, brauchen wir nur etwas, wofür wir uns begeistern.“
Im Kontext ist das natürlich ein Aufruf zum religiösen Fanatismus, wer begeistert sich auch nicht gerne für totale Unterordnung und pausenlose langweilige Rituale, möchte man da sagen, aber ohne Kontext? Nicht falsch!
Ebenso der Fußballspieler oder Politiker David Dunn: „Die Zeit für das Glück ist heute, nicht morgen.“
Ja! Reichstagsbrand, ja! Nicht schlecht für einen Fußballspieler oder Politiker!
Auch Bob Dylan ist in Hochform: „Was bedeutet schon Geld? Ein Mensch ist dann erfolgreich, wenn er zwischen Aufstehen und Schlafengehen das tut, was ihm gefällt.“
Das ist schön gesagt, Bob, alte Zitatefabrik! Zumal es ohne das Wort Glück oder eine entsprechende Abwandlung auskommt und damit die Fragestellung verballhornt.
Die zweite Kategorie ist „sinnloses Geschwafel“, hier fühlen sich Leute wie die Dichterin Carolyn Wells („Glück ist die Fähigkeit, es zu erkennen“) oder den nicht mehr so dichten Wolf Biermann („Nur wer sich ändert, bleibt sich treu“), ferner Novalis („Glück ist Talent für das Schicksal“) oder Ralph Waldo Emerson („Das Geheimnis des Glücks ist Freude in unseren Händen“) zuhause. Mehr ist dazu aber auch nicht zu sagen, ist halt sinnloses Geschwafel.
Marginal interessanter wird es wieder bei der dritten Kategorie, das ist die, wo die Aussprüche besagen, dass Geld und Glück nicht zusammenhängen, aber eigentlich doch, höhö, ich nenne sie „gefährliches Belächeln des Bestehenden“. Lahmes von Woody Allen:
„Geld ist besser als Armut – wenn auch nur aus finanziellen Gründen.“
Da hat ja meine Oma mit ihrem „Besser Arm ab als arm dran“ noch mehr Esprit zu bieten (zumal sie das tatsächlich denkt).
Peter Falk unterbietet risikofrei wahrheitsgemäß: „Geld allein macht nicht unglücklich“, der US-amerikanische Komiker Danny Kaye hält auf US-amerikanische Komikerart dagegen. „Geld allein macht nicht glücklich. Es gehören auch noch Aktien, Gold und Grundstücke dazu.“
Jesses, will man da, sich dem Fundiverlag Herder anbiedernd, aufschreien, hat denn niemand wenigstens etwas lustiges zu sagen?
Fernsehdeutscher Robert Lembke versucht es und scheitert: „Geld macht nicht glücklich, aber für Glück bekommt man nichts beim Metzger.“
Viel schlimmer als diejenigen, die die abscheulichen Verbrechen dieses Systems vorantreiben, sind die, die sich so verhalten, als wäre Ungleichheit eine liebenswerte Eigenheit des Lebens auf dieser Welt.
Zur Aufmunterung nun die Zitate der vierten und letzten Kategorie „???“. Da hätten wir Charlie Chaplin mit „Die Jugend wäre eine schönere Zeit, wenn sie später im Leben käme“.
Ok. Was sagt hingegen Iris Berben (deutsch deutsch deutsch) zum Thema „Glück“? „Alle Frauen warten auf den Mann ihres Lebens, aber in der Zwischenzeit heiraten sie.“
Zuviel im Mario-Barth-Witzebuch geblättert hätte auch Sidonie Gabrielle Colette, wenn das es ihr möglich gewesen wäre: „Frauen würden sich leichter damit abfinden, dass ihr Mann später nach Hause kommt, wenn sie sich wirklich darauf verlassen könnten, dass er nicht frühr da ist.“
Grillmöbel sagt: „???“ Und auch Emily Dickinson: „Das Leben ist so aufregend, dass man kaum Zeit für etwas anderes findet.“
Ok, aber was war jetzt mit Glück und überhaupt? Naja, zum Glück (haha) gibt es noch Sophia Loren: „Meine Kurven verdanke ich nur den Spaghetti.“
Ich persönlich möchte es mit dem Glück so halten wie Voltaire, indem ich es durch unverschämte Selbsterhöhung erzeuge:
„Das Paradies auf Erden ist dort, wo ich bin.“ Yeah, mthrfckrs!
Die Lektüre von „Be happy“ verdeutlicht vor allem, dass niemand begreifen möchte, dass Demokrit und Epikur vor 2500 Jahren dann vielleicht doch einen anderen Diskurs mit ihren Zitaten bereichert haben als Wolfgang Joop und Jil Sander es heute missverstehen zu tun, aber Schwamm drüber. Glück ist eben ein universelles Thema oder auch nicht (die einzige universelle Wahrheit ist die, dass nichts universell ist), Hauptsache die Welt bleibt, wie sie ist.
Ich als Babybesitzer bin auf jeden Fall nah dran an Glück, sagt mir die Gesellschaft und hat natürlich nicht Recht damit, obwohl es stimmt. Wer den letzten Satz versteht, der ist wahrhaft mit Glück gesegnet. Und ist das nicht eigentlich das, was uns ausmacht? Ist nicht eigentlich derjenige glücklich, der sich in einem Zustand des Glücks befindet?
Ich unterbreche diese Satzkette der zweiten (und vierten) Kategorie, um zum Schluss zu kommen, der natürlich auch den akademischen Formalia folgt: Fazit, Ausblick und Abschlusszitat, heute aus dem Impressum: „Gedruckt auf umweltfreundlichem, chlorfreien Papier. Printed in China.“ Glück auf!