02 Mar 2015
Ohne Öl keine Bratkartoffeln, auch wenn sie blau sind!
Endlich habe ich ein richtig schlechtes Theaterstück gesehen! Endlich weiß ich, wie es sich anfühlt, während einer Vorstellung um 2 Jahre zu altern, sich die ganze Zeit zu fragen, wann es endlich vorbei ist (es stellte sich heraus: nach 150 Minuten) und allgemein eigentlich eher gehen zu wollen als sich der winzigen Chance hinzugeben, dass sie doch noch die Kurve kriegen oder zumindest punktuell den Weg in meinen Kopf finden. Endlich Schluss mit der Mittelmäßigkeit, endlich Schluss mit „Wie war das Stück?“ „Ganz ok“, endlich kann ich etwas für mich verreißen, ein gutes Gefühl, so eine klare Linie fahren zu können in dieser Königin aller Online-Rezensionen, hier auf Grillmöbel, die schon dadurch keine ist, dass sie Titel, Autor und Rahmenbedingungen des Stückes nicht angeben wird. Nur soviel: Brecht. Es sei angemerkt, dass ich aus der Perspektive einer Person schreibe, die das zugrunde liegende Buch nicht gelesen hat und daher nicht ausschließen kann, dass das Stück für eine belesenere Zuschauerin ganz anders gewirkt hat blablabla. Wie dem auch sei, erstmal sah alles gut aus: Es gab eine Bühne, aufsteigende Zuschauerreihen, Schauspieler gab es auch (seitdem ich mal „die Hamletmaschine“ ausschließlich von Maschinen aufgeführt gesehen habe, bin ich immer schon froh, wenn Menschen beteiligt sind) und Kulissen und Requisiten. Mein Einzug in den Zuschauerraum wird von einer Beatboxing-Koryphäe, die links an der Bühne angebracht ist, mit rhythmischen Zischlauten kommentiert. Hm. Aber ok, es ist ja Kunst und so. Ich bin offen. Die Schauspieler_innen laufen zeitgleich mit dem Publikum ein und geben sich smooth, bald im lockeren Gespräch miteinander, bald scherzend mit dem Beatboxer; nicht lange dauert es, bis sie ihr nicht geringes musikalisches Talent zum ersten Mal zur Schau stellen, indem sie den von links kommenden Beat auf ihre Weise mit pfiffigen Geräuschen und Melodien gekonnt zu einer Art spontanen Ambient-Electro-Komposition ergänzen. So etwas kann ich beeindruckend finden, allerdings nicht, wenn es auf eine Weise vorgetragen wird, die sagt: „Wir können alle alles, denn wir wurden an der Kunstuniversität in Gesang, Tanz, Performance und natürlich Beatboxing ausgebildet.“ Und dass das der Tenor des gesamten Abends ist, zeigt sich schnell. Die Darsteller_innen können polyphon singen, aber auch solieren, sie können Street Dance und zu Techno raven, sie können akrobatische Übungen in einzelne Szenen integrieren (die da, soviel Dogma sei erlaubt, nun wirklich nichts verloren, geschweige denn einen Sinn haben), sie können ihre Rollen schneller wechseln als die Polizei erlaubt und grasen dabei die komplette Sammlung typisierter Figuren ab, die es seit Jahrtausenden im Theater gibt, sie können sehr viele Dinge wirr durcheinander sagen und tun, ohne die Gesamtchoreographie aus den Augen zu verlieren, sie können lange Texte zu sechst simultan rezitieren, mit Pausen und Intonation und allem, sie können sich überhaupt sehr viel Text merken, sie können jeder_r circa 5 Rollen spielen, gleichzeitig im Publikum Suppe verteilen und dabei auch noch die sehr komplizierte Handlung in kleinen Exkursen erklären (wo man sich auch schon fragen könnte, warum sie das Stück nicht einfach so darbieten, dass wir auch ohne eine extra angefügte Erklärung verstehen, was passiert) und manche können sogar auch noch beatboxen, wenn sie grade nichts anderes zu tun haben, denn alle 6,7 Leute sind permanent irgendwas am machen, egal, ob im Stück grade eine Massenszene oder ein Monolog passiert. Das ist, alle Kritik und Häme beiseite, durchaus eine beachtliche Leistung. Besser macht das aber garnichts, denn – und hier unterstelle ich mal hollywoodhaft, „was Theatergäste wollen“ - Theatergäste wollen nicht die Kleinkunstweltmeisterschaft sehen, sondern ein Theaterstück, am besten noch mit Inhalt. Den bei Brecht zu finden, ist an sich nicht schwer, also warum verstecken sie ihn hinter allgemeinem Wirrsal? Nicht falsch verstehen! Ich bin ein Fan von Wirrsal jedweder Art, wenn es da eingesetzt wird, wo es einen Zweck hat, zu verwirren. Hier hingegen das Ergebnis: Langeweile und Genervtheit, außerdem Fremdschämen für die so gemeinten humoristischen Einlagen. Warum reden vorne zwei Leute über die Rolle der Religion im Bezug auf Arbeiteraufstände, während hinten zwei andere Leute zu Techno aus der Beatbox virtuos tanzen (Achtung: Beschreibung mit großer Wahrscheinlichkeit unzutreffend wg. Wirrsal)? Warum wird in einen Dialog aus dem frühen 20. Jahrhundert der Wahlslogan der SPD 2014 eingeflochten? Und warum ist der Gesamtkanon so angelegt, dass ich damit rechnen muss, dass der Hauptdarsteller gleich anfängt, auf einem Elefanten reitend zu jonglieren? Und was hat das eigentlich mit Brecht zu tun? Nach wenigen Szenen bereits befinde ich mich in einer sehr gelungenen Parodie modernen Theaters, die leider nicht weiß, dass sie eine ist.
Dann: Was soll das mit den vielen „modernen“ Witzen? Das Stück spielt in den 1930ern und ist nicht ansatzweise als Komödie ausgelegt, dennoch provozieren die Leute auf der Bühne einen Gag nach dem andern, und das mithilfe dermaßen ausgelutschter Sitcom-Witze und Slapstick-Szenen, dass ich mich mehrmals wirklich frage, wie darüber noch wer lachen kann. Ah, Moment! Es gab doch noch etwas neben Slapstick und Sitcomanleihen, was Komik erregen sollte, nämlich eine (kilo)meterhohe Metaebene (die wahrscheinlich durch eine tatsächliche meta meterhohe Wand symbolisiert werden sollte), auf der die Schauspieler_innen sich so wohl gefühlt haben, dass sie nur selten im Stück davon heruntergekommen sind. Schon direkt zu Beginn des Stücks reden sie alle ganz locker mit dem Publikum, als gäbe es die Theatersituation nicht, jede_r stellt kurz die Rolle vor, die er_sie spielt, während die anderen bei jeder Erwähnung des Rollennamens beflissen mit dem Finger auf die Person zeigen. Das wird nach spätestens zwei Malen langweilig, geht aber natürlich trotzdem so weiter, bis alle durch sind. Fehlende Reaktionen des Publikums ignoriert die Truppe konsequent durch das ganze Stück, selbst an der Stelle, als sie – wohl ein Gag (?) - „Fragen aus dem Publikum“ beantworten wollen. Die konsequente Metaebene hat nicht nur an dieser Stelle dazu geführt, dass das Publikum keinerlei Vorstellung davon hat, was jetzt Handlung, was performativer Kommentar auf der Metaebene oder ob das Ganze ein Witz sein soll: Verhaltenes Lachen weniger ist die Folge, aber auch Brille hochschlagen und Daumen und Zeigefinger in die Augenhöhlen. Aber was bringt das, die eigentliche Handlung immer wieder zu unterbrechen und damit ihrer politischen Sprengkraft (die sie ja abseits dieser Vorführung sicher hat) zu berauben, nur um zu zeigen, was für ein cooler Typ man im echten Leben ist? Beispiel: Haupttyp stellt sich zum vermeintlichen Schlussmonolog auf. Dann der Beatboxer mit elektronisch verzerrter Stimme handlungsweisend:
„Du bist raus. Es ist vorbei.“
(theaterhaft) „Ich bin raus.“ (normal) „Hey, warum klingt deine Stimme so komisch?“
(verzerrt) „Lass den Musiker in Ruhe“
„Nee, nee, im Ernst, was haste denn da?“
(normal) „Na, das ist ein Effektgerät.“
„Ein Effektgerät? Ach, is ja cool. Darf ich mal?“
(verzerrt) „Lass den Musiker in Ruhe“
„Nee, nee, im Ernst, darf ich mal?“
Und so geht das weiter und weiter und man will doch eigentlich sich an Brecht erfreuen, zumindest manchmal in den 2,5 Stunden, aber sie kennen keine Gnade und schlachten jeden solchen Dialog aufs letzte aus. Klar kann sowas, wenn richtig inszeniert, eine Art anarchischen Humor ausmachen und damit eine ansonsten lahme Szene nach Absurdistan katapultieren. Doch natürlich nicht, wenn es pausenlos gemacht wird und auch nicht mit dieser Attitüde „wir brechen jetzt mal radikal die Erwartungen, dann muss ja Komik dabei herauskommen“ (Ich muss gestehen: Diese extrem verkürzte Humortheorie könnte man garnicht besser widerlegen als durch die hier besprochene Inszenierung). Überhaupt riecht hier alles nach Theater auf Rezept; man nehme ausgebildete Schauspieler_innen, klassisches Material, dazu auch ein bisschen Moderne, aber mindestens doppelt so viel Postmoderne, ein bisschen Publikum einbeziehen, ein bisschen aktuelle Tagespolitik und am besten noch eine Handvoll musikalischer Nummern, falls man mit ausgebildetem Talent beeindrucken muss. Natürlich ebenfalls postmodern, also elektronische Musik zum Raven. Das reicht aber genauso wenig für eine gelungene Inszenierung, wie gute Musiker und musiktheoretisches Know-How für einen guten Song ausreichen. Verstehen kann ich es ja. Wie bei E-Musik oder Eurodance sind bei einer Brecht-Inszenierung schlicht und einfach die Möglichkeiten aufgebraucht, es KANN nichts originelles mehr geben, dazu kommt noch, dass Musik und Schauspiel Künste sind, die zu lehren sie vollends entseelt (Jawohl). Wie sonst kommt es, dass Theateraufführungen einander immer so ähnlich sind? Weil es Techniken gibt, wie welche Mimik, Gestik, blafasel wo und wann anzuwenden ist, weil beigebracht wird, was witzig ist und was nicht, also: weil etwas gleichgeschaltet wird, was eigentlich so divers wie weniges anderes ist. Und so kommt es, dass ich in diesem Brecht-Stück typisierte Szenen sehe, die ich vorher nicht sehr anders in Sitcoms aus den USA oder – noch schlimmer – deutschen Comedy-Formaten gesehen habe. Das darf doch wohl nicht wahr sein, schreibe ich automatisch. Da es aber wahr ist, ich wahrwar* ja dabei, bleibt mir nur noch, die Erkenntnis herauszuposaunen, die der Abend dann doch gebracht hat: Der Kapitalismus hat auch das Theater zerstört. Und diese Nasen feiern sich selbst noch dabei und das einzig politische daran ist, dass es Brecht ist, den sie zerstören.
*Grillmöbel kann auch witzig sein, und zwar auf jedem Niveau! Vergleiche zB die aktuellen Bandnamen:
-Auch Zahngold (sehr witzig)
-Donnerbalkan (für Balkanbands, ganz ok)
-Phantomspeisung (muss man dabei gewesen sein)
„¿comprendes? … ich hab ein bisschen spanisch gelernt, höhöhö“ (Zitat Graham zu Slift, aus: Brecht: Die heilige Johanna der Schlachthöfe. Da muss man nicht dabei gewesen sein)