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25 Feb 2015
Richtig leben in Flaschen

“Wenn ich verliere, putze ich dein Sattelzeug” (Sheldon, S.40) - ein Entwicklungsroman im Pferdekostüm

Zu Anfang mögen die vielen Fachbegriffe schon überraschen: „Palomino-Stute“, „Schecken“, „Flanken“, „Freeloader“… doch je mehr man sich auf die Geschichte einlässt, die Ann Sheldon in ihrem Hauptwerk
Lisa und die Ranch der Pferde – Das Phantompferd
erzählt, desto mehr wird man an die Hand genommen. Anschaulich beschreibt die Autorin Szenen aus der Welt des Reitens (43, 72, 110); die Begriffe aus dem Jargon der Rancher und Reiter fangen dadurch plötzlich auch für Laien an, Sinn zu ergeben; Sheldon versteht es, mit dem Leser auf diese Weise zu spielen. Überhaupt wird das Weiterlesen stets belohnt. Wirkt so anfangs die Fülle der Charaktere (Amber, Lisa Craig, Bob Craig, Larry Spencer, Kathy Hamilton, Mac, Freeloader, Patches, 1) ein wenig erdrückend, löst Sheldon dies im Laufe des 1. Kapitels geschickt mithilfe flüssiger Dialoge, die zwar nicht unbedingt zum Plot beizutragen scheinen, aber dafür ihren Zweck erfüllen: Die Rollen wachsen dem Leser schnell ans Herz, sei es die quirlige Kathy, die sich als beste Freundin und graue Eminenz der Protagonistin Lisa uns gleichsam „vorstellt“ oder der etwas herrische Mac („Hier schlagen wir das Lager auf. Jeder weiß, was er zu tun hat. Gehen wir an die Arbeit!“, 12), der Aufseher der Rancho del Sol, einer der zentralen Schauplätze der Story. Zuweilen mag die ein wenig unrealistische Schlagfertigkeit der doch sehr jungen Charaktere ein wenig übertrieben wirken („Und ich wette, du hast auch eine rote Kuh gesehen“, „Was gesehen? […] Etwa das Pferd aus Macs Geschichte?“,23), doch gewinnen die Rollen dadurch auch Substanz. Das gilt interessanterweise ebenfalls für die tierischen – oder besser: nichtmenschlichen Charaktere des Romans, die in offensichtlich beabsichtigter Regelmäßigkeit wichtige Rollen spielen: Der Palomino-Stute Amber ist keine Anstrengung zu groß, um die körperliche Unversehrtheit ihrer Reiterin zu garantieren (43). Der kleine Hund Wirbel, der eigentlich Gypsy heißt, ist es, der Lisa letztlich zu Kelly Michaelis führt, deren Pferd sie für das Phantompferd hält, nicht etwa einer ihrer Freunde (86)! Und wäre es interpretatorisch übertrieben, bereits den Untertitel „das Phantompferd“ als Hinweis auf diesen konsequenten Antispeziesismus zu verstehen? Denn es ist wohl eher selten der Fall, dass ein nichtmenschliches Tier die Hauptrolle in einem Bestseller spielt. Nein, Ann Sheldon scheint mir hier eine klare Linie zu verfolgen. Sowohl Pferde als auch Hunde* werden über das komplette Buch mit derselben Rücksicht und Sensibilität behandelt wie alle menschlichen Charaktere (vgl. 51, 72, 118ff), sogar nahezu noch respektvoller – eine satirische Überspitzung?
Klar ist, dass die Autorin hierbei eine Intention hat, die weit über die in diesem Genre üblichen ethischen Forderungen hinausgeht: „Die Pferde wurden […] zuerst versorgt, das war eisernes Gesetz, auch wenn der Reiter noch so müde war.“ (13). Ebenso treten die Protagonisten wie selbstverständlich illegaler Wilderei entschlossen entgegen (34) und stellen ihre eigenen Bedürfnisse nicht selten hinter diejenigen ihrer nichtmenschlichen Freunde zurück (111, 119). Ich hoffe, im vergangenen Abschnitt die besondere Programmatik der Autorin in Bezug auf das Verhältnis Mensch-Tier überzeugend herausgestellt zu haben. Im Folgenden soll die außergewöhnlich scharfsinnige Charakterzeichnung an ausgewählten Beispielen gezeigt werden.
1. Mac
Psychologisch zu erfassen, was Mac darstellt, erweist sich als schwierig. Der Aufseher ist ein diffuser Charakter, der kontrollierte Situationen ebenso zu brauchen scheint (12ff) wie einen permanenten Zugang zu menschlicher Kommunikation, wenn er ihn auch selbst erzeugen muss: „In den Bergen ist es nachts immer kalt, […] sogar im Sommer. Das wisst ihr ja!“ (13) Wenn die anderen es doch wissen, warum sollte Mac diese Äußerung tätigen, wenn nicht, um der gefürchteten Stille der Prärie zu entgehen? Auf der selben Seite gibt Mac vor, dass sein mitgebrachter Proviant (Schweinefleisch mit Bohnen) nach einem Familienrezept zubereitet worden sei. Wenig später stellt sich diese Behauptung als erlogen heraus (14). Lisa und die anderen messen dem eine eher humoristische Bedeutung bei, doch spätestens, nachdem Lisas Großvater Tom „Bronco“ Mallory auf ähnliche Vorfälle anspielt (47) und kurz darauf sogar explizit äußert, dass „…Mac [gerne] übertreibt“ (50), sollte klar sein, dass es sich hierbei um einen notorischen Lügner handelt, der innerhalb des Plots als eine Art moralischer Antagonist gegenüber Bronco fungiert, dem pflichtbewussten (104), weisen und großzügigen Rancher, dessen charakterliche Stärke schon bei der ersten Erwähnung durch eine kongeniale Alliteration betont wird: „Tom „Bronco“ Mallory, Lisas ‘'’g’'’utaussehender, ‘'’g’'’rauhaariger ‘'’G’'’roßvater. Interessant wäre hier, diese Stelle im englischsprachigen Original zu lesen. Doch gehört derlei Recherche weniger zu dieser Arbeit; der Fall zeigt allerdings, dass bei Sheldons Werk durchaus noch Untersuchungsgegenstände vorhanden sind.

  1. Glen Manlon
    Besonders tragisch wirkt das Schicksal Glen Manlons in Sheldons Darstellung, ein vereinsamter Cowboy, dessen Schwester durch ihr Verschwinden 20 Jahre vor der Erzählzeit die Legende des Phantompferdes begründet hatte, welcher unsere Protagonisten anheim fallen. Von den Gerüchten belastet, die ihren Weg durch ganz Südkalifornien gefunden zu haben scheinen, tritt der einsame Bruder eher unwirsch in die Geschichte ein (65), indem er Lisa und Kathy mithilfe gewaltvoller Abschreckungsmaßnahmen daran hindern will, Nachforschungen anzustellen. Als das nicht hilft und Lisa mit einem Amulett vor seiner Tür steht, welches mutmaßlich seiner verschwundenen Schwester gehören soll, geht er gar so weit, dieses wegzuwerfen und Lisa und ihre Palomino-Stute mit seinem Jeep zu verfolgen (109ff). Der vorher eher einem typischen „Asozialen“ zuzuordnenden Manlon („Seine Haare waren wirr, sein Gesicht düster und abweisend“, 108) durchläuft im Folgenden eine Art Karthasis und wird so zur eigentlichen Schlüsselfigur des Romans, durch die nicht nur die Handlungsstränge gebündelt, sondern auch die Konflikte gelöst werden. Er ist daher literaturhistorisch sowohl als tragische Gestalt, aber ebenso in der Nähe eines deus ex machina anzusiedeln. Sheldon gibt diesbezüglich keinerlei Hinweise, ebenso bleiben seine Beweggründe bis zum Ende unklar, sei es, was die Verfolgung Lisas angeht, sei es die Hilfe, die er Kelly gewährt, obwohl er sie nie zuvor gesehen hat.
    Es ist diese Bewahrung des Mystischen, gegen jede literarische Konvention, die Sheldons Werk zu dem macht, was es ist: ein Entwicklungsroman des 21. Jahrhunderts (!), in dem die Vernunft jeder postmodernen Pervertierung ihrer selbst trotzt. Das Konzept des Happy End wirkt hier zunächst sehr klassisch eingesetzt, scheint doch die Anagnoreisis vollkommen. Und doch schließt Sheldon geschickt mit einer offenen Frage: „Vor der leuchtenden Scheibe des Mondes jagte der schwarze Umriß eines geisterhaften Pferdes über die Klippen – und verschwand wieder. Oder war es nur ein Spiel der Wolken gewesen?“ Es bleibt abzuwarten, ob die Autorin dieser Frage nachgeht oder sie unbeantwortet lässt. Meiner Meinung nach zeigt „Lisa und die Ranch der Pferde – Das Phantompferd“ auf brillante Art und Weise, dass es bei einer guten Autorin darauf nicht ankommt.




* Was die unklare Rolle der Rinder angeht, siehe Grillmöbel 2014, in: Wendy Magazin 05/2014, Warum wir Rinder massieren, Pferde nicht essen und uns bekloppt anziehen

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